Der Skandal der Philosophie

Immanuel Kant prägte den Ausdruck vom „Skandal der Philosophie“ in einer seiner Fußnoten in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“: „so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns […] bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können.“ (1). Tatsächlich scheint der Bezweifelung der Außenwelt, wie man sie quer durch die gesamte Philosophiegeschichte findet, wenig entgegenzustellen zu sein, denn dieser Zweifel ist von so fundamentaler Art, dass die Entgegnungen immer aus dem Bezweifelten selbst hervorgehen müssen und damit schlicht wenig überzeugend sind.

140 Jahre später antwortete Martin Heidegger darauf: „Der Skandal der Philosophie besteht nicht darin, daß dieser Beweis bislang aussteht, sondern darin, daß solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden. […] Nicht die Beweise sind unzureichend, sondern die Seinsart des beweisenden und beweisheischenden Seienden ist unterbestimmt.“ (2) Heidegger bezieht sich damit darauf, dass das Dasein (der Mensch) immer schon ein In-der-Welt-sein ist und damit bereits die ihm erscheinenden Teile der Welt erschlossen und dementsprechend ein Sein sind. In einer solchen Konzeption ist das betrachtende Subjekt nicht von der Außenwelt isoliert. Der Versuch eines Beweises der Außenwelt entzieht dem Seienden also erst sein Sein, um es anschließend zu versuchen zu beweisen. Heidegger bricht also aus dem rigorosen Außenweltskeptizismus aus und wechselt die Ebene. Es geht ihm also nicht um den Beweis der Außenwelt, „sondern aufzuweisen ist, warum das Dasein als In-der-Welt-sein die Tendenz hat, die Außenwelt zunächst ‚erkenntnistheoretisch‘ in Nichtigkeiten zu begraben, um sie dann erst durch Beweise auferstehen zu lassen.“ (3).

(1) Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. B XXXIX, XL
(2) Heidegger, Martin: Sein und Zeit. §43a
(3) ebd.

4 Antworten auf „Der Skandal der Philosophie“

  1. Interessant finde ich, dass anscheinend eine so komplexe Sprache nötig ist, um diese Fragestellungen zu erörtern – die von dir zitierten Textstellen verdeutlichen das ganz gut – und dennoch sind es irgendwo fundamentale Fragen, die sich jedes Kind mal gestellt hat.

    Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie ich mir etwa im frühen Grundschulalter die Frage stellte, ob alles um mich herum vielleicht nur für mich existiert und es gar keinen anderen Menschen mit einem solchen Bewusstsein, wie meinem, gibt. Mein Gefühl sagte mit, dass auch andere Menschen sind wie ich, doch beunruhigender Weise fiel mir kein Weg ein, das zu beweisen.

    Ich begnügte mich damit, meinen Geschwistern in die Augen zu schauen und mich zu fragen, was ich denn wohl glaube.

  2. Die komplexe Sprache gilt sicherlich für Heidegger, wobei man hinzufügen muss, dass die Passage aus einem größeren Werk stammt und sich damit auch dem Begriffsapparat von eben diesem bedient. Kant wiederum benutzt, zumindest in meinen Augen, eine natürliche Ausdrucksform, sie mag etwas gestelzt klingen, aber es war eben auch das 18. Jahrhundert. Er benutzt aber keine Termini, die er zuerst selbst gefüllt hat, sondern bleibt bei seinen Bemerkungen in der Ebene der Alltagssprache.

    Interessant ist dein Hinweis, das diese Art des Zweifels jedem Kind inhärent ist. Dem kann man wohl nur zustimmen, wobei sich Kant wohl weniger auf einen derart unsystematischen Zweifel bezieht. Der Zweifel eines Kindes an der Außenwelt ist eine Idee, ein spontaner Einfall, oder auch ein Glauben. Er dürfte in der Regel nicht über eine systematische Herleitung und Untermauerung des Zweifels verfügen. Damit will ich gar nicht sagen, dass Kinder schlicht noch nicht klug genug für eine derartige Vorgehensweise sind, sondern ihr Vorgehen schlicht ein anderes, sogen wir spontaneres, ist. Das Kind kehrt ebenso "spontan" zurück in die alte Kette, in der es sich wieder in einer existenten und kontingenten Außenwelt befindet. Diese Art der Ebene spiegelt sich wunderbar in deinem letzten Wort wieder: "glaube.".
    Ich schätze, Du wolltest auch gar nicht behaupten, dass es sich bei Kindern anders verhalte, nur erschien es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Form des unsystematischen Zweifels von Kant vermutlich aus dem Grund weniger gemeint sein kann, als der systematische Außenweltskeptizismus, der quer durch die Philosophiegeschichte immer wieder zum Vorschein kam und kommt.

  3. Du hast schon Recht. Es ist weder das Gleiche noch etwas grundsätzlich Unterschiedliches. Ich denke die Ahnungen eines Kindes als spntaner, gefühlsbezogener und weniger systematisch zu bezeichnen, trifft es ganz gut. Es gibt in der Philosphie häufig sehr komplexe Fragen, über die sich allerdings jeder auf seine Art und Weise mal Gedanken gemacht hat, auch ohne in der Lage zu sein, die Theorien der Philosophen wirklich zu verstehen.

    Von der anderen Seite betrachtet, verschafft diese allgemeine Relevanz einer stimmigen Theorie eine außerordentliche intuitive Überzeugungskraft.

  4. Ob man an der Außenwelt zweifelt oder nicht, ist letztlich völlig unerheblich. Wenn man nämlich konsequent weiter zweifelt, so ist auch das Ich (die Existenz des Ichs) zu bezweifeln; man wäre dann nur noch der Gedankeninhalte, dem Gedachten gewiss, nicht aber einem Denkenden. Und wie Wittgenstein schon sagt, fällt der konsequent durchgeführte Solipsismus mit dem Realismus zusammen. Der Idealismus ist letztlich inkonsequent, wenn er an der Existenz einer Außenwelt zweifelt, aber nicht an der Existenz eines Denkenden, welches ja ebenfalls außerhalb des Gedachten, außerhalb der Vorstellung wäre. Wenn man also die Außenwelt konsequent in Zweifel zieht, löst sich die Innenwelt ebenso auf.

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