Die Sprache der Klugen

Gewalt, so ein bekanntes Sprichwort, ist die Sprache der Dummen.
Auch ohne langes Überlegen dürfte jeder in etwa wissen, was damit gemeint ist: Wer sich nicht oder nicht mehr auszudrücken weiß, wer keine andere Möglichkeit findet, seinem Ärger, seiner Frustration oder seiner Wut Ausdruck zu verleihen, mag zu diesem Mittel greifen, um zumindest für diesen Augenblick der Hilflosigkeit nicht auch noch wort- und tatenlos zu bleiben. Dumm nennen wir dieses Verhalten, weil es Ausdruck eines doppelten Unvermögens ist – des Unvermögens, sich dem Gegenüber verständlich zu machen und des Unvermögens, diese Frustration auszuhalten.
Wie aber sieht der Umkehrschluss aus – gibt es eine, womöglich besondere, Sprache der Klugen?

Kehrt man das Sprichwort um, ist die Antwort zunächst banal: Nicht dumm sondern klug ist, wer sich ausdrücken und sich verständlich macht kann, wer seinen Willen, seine Gedanken und Empfindungen dem Gegenüber mitteilen kann. Die Sprache der Klugen ist also zunächst ganz allgemein: die Sprache. Und wenn an einem Ende des Spektrums die Gewalt als das letzte Mittel der sprachlich Hilflosen steht, ist man geneigt, am anderen Ende die Klugen zu vermuten, diejenigen, deren Fähigkeit sich durch Sprache mitzuteilen am stärksten ausgeprägt ist. Wer aber sind dann die Klugen und durch was zeichnet sich ihre Sprache aus?

Es müssten, wenn die Annahme stimmt, diejenigen sein, deren Sprache das höchste Maß an Differenziertheit erreicht hat. Dagegen lassen sich jedoch Einwände vorbringen: Die höchste Präzision findet man wohl in Fachsprachen, die Uneingeweihte aber oft ratlos zurücklassen und das Gegenteil von dem bewirken, was wir in dieser Überlegung von Sprache erwarten: Wenn ein Weinkenner vom Lakritz im Bouquet und Waldboden im Abgang spricht oder ein Philosoph von der Verschwiegenheit des existenten Seinkönnens, so stößt man schnell an die Grenzen des Verstehens, wenn man nicht selbst die jeweilige Fachsprache beherrscht. Die Präzision des Ausdrucks geht hier also zulasten der (allgemeinen) Verständlichkeit.

Schlimmer noch: Hat sich die Sprache so weit spezialisiert, dass selbst Eingeweiht kaum mehr folgen können, keimt womöglich der Verdacht auf, dass die Sprache hier nicht höchstmögliche Präzision zum Ziel hat, sondern die Unverständlichkeit selbst gewollt ist – womöglich um besonders klug zu erscheinen.
Dieser Vorwurf wird wohl weitaus häufiger gegen bestimmte Philosophen oder die Philosophie im Allgemeinen erhoben, als er berechtigt ist. Dennoch wirft er eine Frage auf, die zu stellen sich meines Erachtens gerade für die Philosophie lohnt: Wäre der klügste Umgang mit der Sprache nicht der, bei dem sich philosophische Genauigkeit und allgemeine Verständlichkeit die Waage halten? Und ist es nicht möglich auch über sehr spezielles Themen so zu sprechen und zu schreiben, dass Zuhörer oder Leser auch ohne jahrelange Vorbildung folgen und mitreden können?

Im Vorwort von Peter Bieris Handwerk der Freiheit, über das ich vor einiger Zeit schon geschrieben habe, formuliert der Autor einen Anspruch, den er an sich selbst gestellt hat: »über ein zum verzweifeln komplexes Thema in einfacher, mühelos fließender Sprache schreiben, die ohne unnötige Fremdwörter und ohne Jargon auskäme.« Peter Bieri ist dieses Kunststück mit seinem Buch gelungen, hier im Dunkelraum bemühen wir uns immer wieder auf’s Neue darum: Die Annäherung an die Sprache der Klugen.

6 Antworten auf „Die Sprache der Klugen“

  1. Zunächst einmal: Ich denke, diese Annäherung gelingt euch hier ziemlich gut.

    Aber nichtsdestotrotz: Hat nicht auch die Unverständlichkeit (von Fachsprachen) ihre Berechtigung und sogar ihre Notwendigkeit?

    Damit meine ich nicht einen möglichst esoterischen oder womöglich heideggerianischen Jargon als Selbstzweck oder zum Zwecke der eigenen Imagepflege und Abschreckung von Nicht-Eingeweihten, sondern eine der Sache angemessene Schwierigkeit der Sprache. Gerade die Schwierigkeit und Sperrigkeit oder eben sogar Unverständlichkeit verleitet uns doch oft erst dazu, uns intensiv mit etwas – insbesondere mit Sprache im weitesten Sinne – auseinanderzusetzen.
    Gerade Heidegger ist doch ein Beispiel dafür, dass man zuerst einmal "seine" (also Heideggers) Sprache mühevoll lernen muss – fast wie eine Fremdsprache -, um seinen Gedanken folgen zu können. Die Kunst besteht dann allerdings darin, im Diskurs mit anderen diese Sprache in die eigene zu übersetzen – und das kommt in der Tat dem sehr nahe, was in dem Bieri-Zitat formuliert wird, denke ich.
    Gerade beim Sprechen oder Schreiben über andere Texte (sei es nun Philosophie oder Literatur) wird dieses Problem ja virulent: Es besteht dort immer die Gefahr, dem "Objekt" oder "Primärtext" zu verfallen (das ist jetzt wohl tatsächlich von Heidegger beeinflusst, pardon) und keine Metasprache bzw. keine eigene und auf Mitteilbarkeit und Übersetzung ausgerichtete Sprache zu finden.

    Ein Philosophiestudium und auch ein Studium der Literatur hat nicht zuletzt vielleicht genau diesen Zweck, könnte man vorsichtig behaupten: Übersetzen zu lernen, d.h. der (vordergründigen) Unverständlichkeit und Schwierigkeit von Texten (und Fachsprachen) ihr Berechtigung zu lassen, ohne sich damit abzufinden, dass dieser Zustand so bleiben muss – und nicht zuletzt anderen einen Horizont eröffnen zu können (und ihn eben nicht absichtsvoll zu verschließen), der sie vielleicht dazu verleitet, sich selbst in die jeweilige "Fachsprache" einzuarbeiten. Denn ein jahrelanges Studium kann diese "Übersetzung" und Verständlichmachung natürlich nicht ersetzen, höchstens eben, im besten Falle, dazu anregen…

  2. Hallo Sabrina,

    ich danke dir für das Lob und freue mich über deinen Kommentar.
    Vor allem finde ich das Bild der Übersetzung sehr treffend.
    In der Literaturwissenschaft gilt ja der Grundsatz: Man sollte nur über ein Werk schreiben, das man es im Original gelesen hat. Warum? Weil sich mit jeder Übersetzung Nuancen verschieben und immer auch eine gewisse Deutung mit einfließt. Das französische Adjektiv »farouche« kann ich zum Beispiel als »scheu« oder als »wild« übersetzen – und setze damit sehr unterschiedliche Akzente.
    Wenn ich einen philosophischen Text wiedergebe passiert wohl unweigerlich das Gleiche: Ich lese und interpretiere ihn zwangsläufig auf eine bestimmte Weise und kann mich bestenfalls bemühen, meine Meinung und mein Urteil so weit es geht herauszuhalten, wenn ich über ihn schreibe oder rede. Trotzdem übersetze ich ihn, besonders wenn ich Menschen erreichen will, die mit seiner Sprache noch nicht vertraut sind – und vielleicht bewirke ich damit sogar, dass sie selbst neugierig werden und sie selbst (kennen)lernen wollen.
    Bei einer Fremdsprache stellt sich natürlich nicht die Frage, ob sie notwendig ist – und es gibt auch keine Zwischenbereiche. Eine Fachsprache dagegen kann man in dieser Hinsicht durchaus kritisieren. Ob eine besonders anspruchsvolle Sprache (wie etwa die von Heidegger) eher abschreckend oder als einladende Herausforderung wirkt, ist wohl individuell recht unterschiedlich. Mir persönlich hat damals Chris‘ Idee für dieses Blog auch deshalb so gut gefallen, weil ich schon des Öfteren gedacht hatte, dass es doch auch einfacher, offener gehen müsste. Schließlich stellt die Philosophie Fragen, die jeden Menschen angehen – dann müsste man sie doch auch so formulieren, dass sie möglichst Viele verstehen und sich eigene Gedanken darüber machen können.
    Andererseits wäre ich wohl sehr skeptisch, wenn jemand auf die Idee käme, Heidegger oder Kant »auf Deutsch« herauszugeben, wie man Shakespeares Werke auch in deutscher Übersetzung lesen kann – ich hätte Sorge, dass dabei etwas verloren geht, die Tiefe und Exaktheit womöglich, welche die Texte auszeichnen und für die sich die Mühe lohnt, ihre Sprache zu lernen.

  3. Lieber Tom,

    ich denke, ich bin mit allem einverstanden. (Eigentlich keine gute Grundlage für eine Diskussion und, wenn man dem Nietzsche-Zitat folgt, eher ein Grund für besonders harte Kritik…)

    Mir kam nun aber noch ein anderer Gedanke: Eventuell ist gar nicht die Sprache, zumindest nicht diese allein, entscheidend bei der Frage, wie man möglichst viele Nicht-Fach-Philosophen erreichen kann, sondern das Medium oder allgemein die Vermittlungsform, also die über die Sprache hinausgehende Makro-Form, in diesem Fall also der Blog, ein eben noch vergleichsweise junges Format. Es verbindet im Grunde die Abstraktion von der konkreten leiblichen Person, die einen schriftlichen Diskurs ausmacht, mit der Direktheit und zeitlichen Unmittelbarkeit (zumindest ansatzweise) einer Face-to-face-Kommunikation, zudem noch in einer (virtuellen) Öffentlichkeit. Darüber ließe sich sicher noch Differenzierteres sagen, interessant scheint mir jedenfalls zu sein, dass ein Medium, also eine bestimmte Form, und vor allem ein Distanzierungsmoment dabei eine große Rolle spielt.

    Und um auf Nietzsche zurückzukommen: Bei ihm gibt es den Begriff der "Sternenfreundschaft", der auch von Derrida in der "Politik der Freundschaft" aufgegriffen wird. Insofern Philosophie und Freundschaft schon etymologisch ineinander verwoben sind (um jetzt den Thesen Derridas zu folgen), haben beide ganz elementar mit diesem Moment zu tun, das dort ein "jenseits meiner Intention" genannt wird.
    Eine "gerechte" Zugangsweise zum Text und zum Freund wäre immer eine solche, die eben "jenseits meiner Intention" liegt – also, auf den Text bezogen, keine Übersetzung oder Paraphrase. Da dies aber in eine Paradoxie führt – denn im direkten Umgang kann ich weder einem Text noch einem Freund gegenüber völlig intentionslos sein – bietet ein Distanzierungsmoment zumindest die Möglichkeit eines Auswegs. Über die doppelte Vermittlung (Übersetzung zwecks Allgemeinverständlichkeit und zusätzliche Medialität) kann man dann eher wieder zum "Eigentlichen", zum "Ursprung" finden, als über eine noch so gut gemeinte dem fachsprachlichen Diskurs verhaftete Erklärung.

  4. Hallo Sabrina,

    es ist ja immer einigermaßen kühn zu behaupten, dass ein Denker, noch dazu Nietzsche, etwas gut gefunden hätte, aber ich glaube dennoch, dass er die Distanz der Kommunikation in den neuen Medien begrüßt hätte. Der Freund, der mir gegenüber sitzt, verführt zu sehr dazu, von ihm gemocht und anerkannt werden zu wollen – und gerade dazu sind Freunde für Nietzsche ja eben nicht da. Sie sollen verbunden sein durch das gemeinsame Streben, die geteilte Verbundenheit mit einem Ideal. Der Sinn von einer solchen Freundschaft liegt dann in der gegenseitigen Ermutigung zur Selbstvervollkommnung, in hilfreichen Anregungen und im tröstlichen Gefühl, letztlich zwar allein aber nicht einsam zu sein, weil man weiß, dass es Andere gibt, die den gleichen, steinigen Weg gehen.
    Ob nun gerade das Netz, die Blogosphere (oder Dunkelraum) ein Ort ist, an dem es den Menschen nur um ein gemeinsames Ideal und um den Anderen geht (und nicht etwa um Anerkennung), darf man wohl mit einigem Recht bezweifeln – aber grundsätzlich ist es ein Medium von mittlerer Distanz, das Nietzsche vielleicht nützlich gefunden hätte: abstrakt und anonym genug aber dennoch offen und interaktiv.
    Ich bin leider kein großer Kenner von Derrida, verstehe deinen Gedanken aber so: Indem ich einen Text so wiedergebe, dass mir persönlich Unbekannte seine Grundgedanken nachvollziehen können, ist es zumindest möglich, dass meine Intention im Bezug auf mein (fernes) Gegenüber weit genug in den Hintergrund treten kann, um die Vermittlung nicht zu überlagern – und gleichzeitig verlangt mir der Prozess der »Übersetzung« für Andere ab, meine eigene Intention im Bezug auf den Text zurückzustellen. Trifft es das in etwa?
    Für mich klingt das sehr plausibel – ich würde vielleicht den Gewinn durch den Austausch noch stärker betonen: Jeder Einwand und Widerspruch zwingt mich dazu, mein Verständnis und meine Position kritisch zu prüfen und Argumente dafür zu finden – oder meine Auffassung zu verändern. Insofern hat Nietzsche schon wieder Recht: Voran kommt man mit allgemeiner Einigkeit nicht und gerade dort wäre scharfe Kritik angebracht, wenn es einem darum geht, einem Text oder einem Denker gerecht zu werden…

  5. Hallo Tom,

    zu deiner Frage: Ja, ich denke, das trifft es in etwa!
    Wenn ich auch etwas kühn sein darf: Ich weiß nicht recht, wie deine Aussage zu werten ist, Du seist keine großer Kenner von Derrida. Solche Aussagen sind ja immer ziemlich relativ und perspektivisch… Jedenfalls lege ich Dir die "Politik der Freundschaft" ans Herz, falls Du es noch nicht gelesen hast, ein Text der mich persönlich sehr bereichert hat (und, wie ich finde, gar nicht unbedingt so recht passen mag zu dem Derrida, der einem in literaturwissenschaftlichen Seminaren immer um die Ohren gehauen wird…). Allerdings, und damit wären wir wieder näher am ursprünglichen Thema, habe ich den Text nicht im Original, sondern tatsächlich nur in der deutschen Übersetzung gelesen, da mein Französisch dann doch zu rudimentär ist…

  6. Hallo Sabrina,

    du hast natürlich Recht: wenn ich darüber nachdenke würde ich mich wohl bei keinem Philosophen als »großer Kenner« bezeichnen… Als Aussage ist der Satz also wirklich sehr unspezifisch. Gemeint habe ich, dass ich mich mit Derrida und der »Politik der Freundschaft« bisher nur im Bezug auf Nietzsches Freundschaftsbegriff beschäftigt habe, ihn bzw. sie also nur in Auszügen kenne.
    Gelesen habe ich den Text zudem auch nur auf Deutsch – wissenschaftliche Texte, zumal ohnehin anspruchsvolle wie die von Derrida, laden ja nicht gerade dazu ein, es sich noch schwerer zu machen, indem man sie in einer Fremdsprache liest, wenn eine Übersetzung vorliegt. Im Grunde widersinnig, geht es doch dort vielleicht sogar noch mehr darum, die Nuancen der Begriffe präzise zu erfassen – und eben nicht schon durch eine Übertragung verschoben oder vorgedeutet zu bekommen…

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