Eine Evolution des Denkens?

Über den Sinn und Nutzen der Philosophie wurde hier schon auf verschiedene Weisen diskutiert: Mal ging es um den Gewinn des Einzelnen, mal um den Nutzen für die Gemeinschaft. In beiden Fällen gab und gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen. Letztlich werden die meisten Teilnehmer an Dunkelraum es für förderlich und gut halten, einer Gesellschaft anzugehören, deren lange philosophische Tradition noch heute präsent ist.
Auch werden wohl viele, die freiwillig oder unfreiwillig ins Philosophieren geraten sind, daraus etwas ziehen, das sie fortfahren lässt, sich mit dergleichen zu beschäftigen. Aber kann man von einem Fortschritt, einem Vorankommen im Denken sprechen?

Tatsächlich findet sich in der modernen Philosophie kaum ein Gedanke, kaum eine Idee, die so oder ähnlich nicht schon in der Antike zumindest angedacht – und die wirklich „neu“ zu nennen wäre. Vieles wird verfeinert, anderes verworfen, umgedacht und in Zusammenhang mit anderen Ansätzen gebracht, aber so etwas wie eine quasi-evolutionäre Entwicklung findet sich in der Philosophiegeschichte nicht.
Das Individuum, das sich eine gewisse Zeit mit Philosophie beschäftigt hat, wird eine Menge naiver oder nicht ganz durchdachter Vorstellungen verlieren, vielleicht eine gewisse „Problemlösungskompetenz“ erwerben, also einen routinierteren und bedachteren Umgang mit zunächst unübersichtlichen Fragestellungen – aber kann man wirklich von einem Vorankommen sprechen? Die Tiefe der Einsicht mag zunehmen, aber gewinnen wir tatsächlich an Wissen – oder doch nur neue Fragen?

Arthur Schnitzler schreibt einem seiner Aphorismen: „Alle Spekulation, vielleicht alles Philosophieren ist nur ein Denken in Spiralen; wir kommen wohl höher, aber nicht eigentlich weiter. Und dem Zentrum der Welt bleiben wir immer gleich fern.“
Könnte man dem aufrichtig widersprechen?

Schnitzler, Arthur: Beziehungen und Einsamkeit. Aphorismen ausgewählt von Clemens Eich. FfM: Fischer, 1987

24 Antworten auf „Eine Evolution des Denkens?“

  1. Nein. Also – wie wär’s, wir würden einpacken und den Unfug einfach lassen?
    – Oder doch eher – ja, natürlich kann man das? Die Philosophie ist doch keine Gummizelle, in der man ständig gegen die gleiche Wand rennt.

    Eine tiefere Einsicht i s t doch eine Erweiterung. In welchem Raum möchte man feststellen, etwas erkannt zu haben, wenn man dessen Grenzen nicht fühlen kann, auch wenn diese beweglich sind. Wasser, Erde, Feuer, Luft oder Strings, das ist doch nicht gleichgültig. Ein Problem verstehen ist schon ein Fortschritt. Ja, natürlich für den Einzelnen…Ist wahrscheinlich unser erstes Leben, insofern ist schlicht alles neu, oder nicht? Oder ist hier jemand ernsthaft gelangweilt?

    Wenn man sich jahrelang durch theoretische Diskurse gelesen hat, wird man vielleicht über meinen Enthusiasmus lachen, naja, vielleicht lache ich dann mit, wenn’s soweit ist, aber ein bisschen naiver Trotz kann nicht schaden, grade in solch pessimistischen Zusammenhängen 🙂

  2. Wer über deinen Enthusiasmus lacht, wäre in meinen Augen ein bedauernswerter Zyniker, unabhängig davon, wieviel er oder sie gelesen haben mag…
    Aber ich wollte durchaus nicht darauf hinaus, dass all das Fragen und Suchen sinnlos sei. Es ging mir vielmehr darum, der verbreiteten Auffassung, dass sich das Denken seit den "Kindertagen" der Antike bis heute entwickelt habe, wie sich die Kulturtechniken in Feinheit und Reichweite potenziert haben, zu widersprechen. Die Analogie, dass die Philosophie der Antike das Pferd, jene der Moderne das Flugzeug sei, geht nicht auf.

    Auch finde ich es fragwürdig, ob man beispielsweise durch ein Philosophiestudium tatsächlich zu etwas anderem wird – letztlich ist und bleibt man genauso unfertig in die Welt geworfen, wie jeder andere auch. Vor den großen Fragen stehen alle – einige vielleicht gelassener als andere, aber niemand kommt darüber hinaus. Ich glaube, was mich dazu bewegt hat, dieses scheinbar bedrückende Thema vorzuschlagen, war der Hochmut, den man bei vielen Gelehrten antrifft: Wer studiert hat ist etwas Besseres.
    Natürlich entwickelt man sich und wer viel Arbeit investiert möchte sich dafür auf gut fühlen dürfen, aber dem kommenden Philosophen, dem neuen, dem Übermenschen bin zumindest ich noch nicht begegnet.

  3. Ok, verstehe was Du meintest, glaube ich. Umso sympathischer als es von einem solchen potentiellen Naserümpfer kommt, dem eben das gar nicht behagt 🙂 Vielleicht hat man wenigstens das Gefühl, mit einem Studium auch das konkret- institutionell Machbare getan zu haben…das beruhigt das Gewissen…vielleicht ist das aber auch riesen Quatsch. Ich weiss es nicht, gestorben wird jedenfalls auch ohne Status. Gruß!

  4. Ich habe nun eine Weile nachgedacht und kann auf der einen Seite nur zustimmen, auf der anderen muss ich jedoch Einspruch erheben und gleichsam bleibt es ein nur ein Gedanke, den ich vorstellen möchte. Die von dir aufgeworfene Frage ist vermutlich zu groß, um sie erschöpfend zu diskutieren.

    Offensichtlich kann man die Epochen nicht gegeneinander gewichten, denn die Philosophie entwickelt sich im Unterschied zu den Naturwissenschaften nicht linear, sondern zu jedem Zeitpunkt kann ein philosophischer Gedanke, auch wenn er mehrere hundert Jahre alt ist, wieder aufgegriffen werden und man kann damit beginnen zu arbeiten. Die Naturwissenschaften werden hingegen mehr als selten Ideen und Studien heranziehen, die ein früherer Naturwissenschaftler einige hundert Jahre zuvor verfertigte. Hier besteht also sicherlich ein massiver Unterschied zu den Naturwissenschaften und jene, die meinen, dass die vergangenen Epochen der Philosophie nur noch zur Philosophiegeschichte taugen, handeln in meinen Augen allzu leichtfertig, zumal uns Zeitgenossen wie Derrida anderes lehren und auch, wer sich die Genese des Jahrhundertwerks "Sein und Zeit" betrachtet, wird sehen, dass es maßgeblich durch antike Gedanken gewonnen und konstruiert wurde (und dennoch eine Meisterleistung ist, dass will ich gar nicht in Abrede stellen) – aber genug der Beispiele.
    Aber was bedeutet die Arbeit in allen diesen Epochen? Es scheint sich herauszukristallisieren, sofern wir unseren Blick von den Epochen auf das Individuum richten.
    Denn wenn dieser seine "naiven und undurchdachten Vorstellungen" verliert, kann hier nach meinem Dafürhalten von einer Progression gesprochen werden. Es wird (um es kurz auszudrücken) von seinem doxa-Wissen entkleidet und kann sich selbst zu seinen Gedanken und der der anderen in eine kritische Distanz setzen und auf dieser Basis sich zu den großen und kleinen Fragen des Lebens aufmachen. Dies selbst ist keine kleine, sondern eine immense Leistung und nur diese bereitet den Boden für ein reflektives Leben. Insofern wäre meine These, dass man bei einem Individuum durchaus von einer Progression sprechen muss, auch wenn es niemals die "großen Fragen" lösen wird. Wenn die Tiefe der Einsicht zunimmt, wenn neue Fragen gestellt werden, dann ist bereits eine Zunahme an Wissen erfolgt. Insofern würde ich druchaus behaupten, dass man durch das Studium der Philosophie zu jemand anderem wird (so gefährlich pauschale Aussagen auch sind), auch wenn sich die letzte Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht entfaltet.
    Wenn im Hinblick auf die Fähigkeit neue Fragen zu stellen, neue Einsichten zu gewinnen, bereits von einer Zunahme an Wissen gesprochen werden kann, dann entwickeln sich auch die Epochen, natürlich jede mit ihrer einzelnen Fragestellung und ihren Schwerpunkten. Ich würde wohl Schnitzler antworten, dass wir sowohl höher als auch weiter kommen, wenn es beispielsweise um Bereiche wie Staatsphilosophie, Ethik und dgl. geht, aber die großen Grundfragen, denen bleiben wir wahrlich wohl auf ewig fern. Dies mag, um den Zirkel zu schließen, selbst für die Naturwissenschaften gelten, denn ihre letzten Fragen sind auch die der Philosophie. Die Dichotomie von Philosophie und Naturwissenschaften ist ja selbst keine ewige, sondern eine gewordene, was noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel auf die Frage nach dem Vorankommen eröffnet. Aber nun genug…
    Meine Haltung fällt zweigeteilt aus, es gibt ein Bemühen und auch Vorankommen, auf vielen Feldern, aber es gibt ein endloses Kreisen im gleichen Abstand um die letzten Fragen.

  5. Nach wie vor fällt es mir aus der Erfahrung heraus schwer, eine den Prinzipien der Philosophie folgende Diskussion mit Herrschaften für möglich zu halten, die offensichtlich der Auffassung sind, die "LIEBE ZUR WEISHEIT" sei "studierbar". Meiner Auffassung nach ist sie nur praktizierbar, in erster Linie durch angestrengtes eigenständiges Denken auf der Basis einer umfangreichen Allgemeinbildung (= "Wissen").
    Denn die Philosophie kann nicht nach mehr "Wissen" streben, sondern immer nur versuchen, durch die (weitestgehend) widerspruchsfreie Verknüpfung allen bekannten "Wissens" an Weisheit, Erkenntnis, also an "Durchblick" zu gewinnen, der im besten Fall tragfähige Lebenskonzepte für jeden Einzelnen zur Folge haben kann.

    Infolge dieser meiner Auffassung können z. B. Argumente früherer Denker, die vom Vorhandensein eines sogenannten "freien Willens" ausgegangen sind, heute zur Vermehrung von Erkenntnis nicht mehr taugen in einer Zeit, da die mit naturwissenschaftlichen Methoden erforschten neurophysiologischen Indizien vermehrt darauf hinweisen, dass dieser "freie Wille" eine konstruierte Illusion ist, was die besten Denker allerdings früher auch schon ohne wissenschaftliche Erkenntnisse nur aufgrund logischen Denkens vermutet haben.

    Jene zumindest scheinen mir durch philosophisches Denken ihre "Weisheit" immerhin partiell evolutioniert zu haben.

  6. Nachsatz:

    Zitat: "Auch werden wohl viele, die freiwillig oder unfreiwillig ins Philosophieren geraten sind, daraus etwas ziehen, das sie fortfahren lässt, sich mit dergleichen zu beschäftigen."

    Bin bass erstaunt, dass es nach dieser Auffassung möglich sein soll, "UNfreiwillig" ins "Philosophieren" zu "geraten"! Was bitte soll das denn sein, "das Philosophieren"?

  7. Was genau ist an der Vermutung, es gäbe keinen freien Willen, "logisch"? Im übrigen halte ich es weder für philosophisch, noch für besonders wissenschaftlich, "neurophysiologische Indizien" als Beleg dafür zu sehen, dass der freie Wille n i c h t existiert. Und für den Fall, dass der freie Wille tatsächlich nicht existierte, wäre es hier nun tatsächlich logisch, dass man "unFreiWillig" ins Philosophieren geriete…

  8. Die Frage, was mit einer speziellen Art des "Philosophierens" gemeint sein könnte, an die man auch "unfreiwillig geraten" könne, ist mit dem unmittelbar vorhergehenden Beitrag in keiner Weise beantwortet.
    Davon abgesehen bleibt es natürlich jedem überlassen, die wissenschaftlichen Forschungen und und die daraus abgeleiteten Thesen und Theorien eines Wolf Singer und diverser Kollegen für "nicht besonders wissenschaftlich" zu "halten", von grosser Sachkenntnis zeugt solche Haltung allerdings nicht gerade. Dagegen bestärkt sie den Verfasser in seiner zuvor geposteten Ansicht über die Unsinnigkeit, "Philosophie" ohne das notwendige Faktenwissen "betreiben" zu wollen.

    (In dieser Anmerkung ist jedoch kein Vorwurf enthalten, denn erstens bleibt uns Allen nichts Anderes übrig, als zu denken, was wir denken, und zweitens geschieht ja das "Philosophieren" dem Einen oder Anderen wohl unfreiwillig, was ihn dann natürlich schon deshalb jeder Verantwortung für die Sinnhaftigkeit seiner Denkergebnisse enthebt.)

  9. Ohne den Hochmut zu besitzen, endgültig und umfassend bestimmen zu wollen, was Philosophieren sei, würde ich vorschlagen, es zunächst als Weiterdenken oder das konsequente Stellen von Fragen zu fassen, die über das Augenscheinliche hinausgehen.
    Es gibt sicher zahllose Gründe, warum Menschen dies tun und immer getan haben – einige werden ein mehr oder minder spontanes Interesse gefasst haben, andere wiederum werden vielleicht durch ein tragisches Ereignis auf die "großen" Fragen gestoßen sein und festgestellt haben, dass einfache Antworten hier nur eine sehr begrenzte Reichweite haben.
    Einen Anlass zum Philosophieren zu haben, der so wenig selbst gewählt wurde wie wie er zu ignorieren ist, würde ich als unfreiwillig bezeichnen.
    Inwiefern sich hieraus eine Frage der Verantwortung ergibt erschließt sich mir leider nicht.
    Verantwortung wäre allerdings ohnehin ein rein fiktives Problem, wenn der Mensch tatsächlich – wie etwa die Herren Singer und Roth vorschlagen – nichts weiter ist, als eine komplexe biomechanische Apparatur. Es wird sicher niemand die Wissenschaftlichkeit ihres Tuns in Zweifel ziehen, wohl aber gibt es gute Gründe, ihre Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen: Tatsächlich ist die Neurowissenschaft weit davon entfernt, das menschliche Gehirn zu verstehen. Ob sie es überhaupt jemals in seiner Funktion vollständig erklären kann ist ungewiss. Ohne die großen (und nützlichen) Fortschritte, die sich auf diesem Gebiet in den letzten Jahren abgespielt haben, klein reden zu wollen, fehlt doch letztlich die Evidenz, die einige Neurowissenschaftler ihren Ergebnissen gerade auf dem Gebiet der Bewusstseinsforschung verleihen wollen.
    Es ist eine Sache, Korrelationen festzustellen, eine andere, daraus Kausalitäten zu machen. Zudem scheint mir die Frage, was Bewusstseins sei, in den Händen von Menschen, deren Fachgebiet Neurophysiologie und Hirnchemie sind, nicht sonderlich gut aufgehoben. Ihre Forschung stellt fraglos einen zentralen Baustein in den modernen Kognitionswissenschaften dar, aber ohne eine Vernetzung mit Psychologie, Soziologie und nicht zuletzt der Philosophie kann sie nur zu kurz greifen.

    Thesen aufzustellen kann dem Diskurs unter den Wissenschaften nur förderlich sein – eine nicht falsifizierbare oder nicht befriedigend verifizierte Theorie als Faktum anzunehmen, ist allerdings kein guter wissenschaftlicher Stil.

  10. @Tom:
    Zunächst danke, Deine Erläuterung von "unfreiwillig" im Zusammenhang mit "Philosophieren ist mir nun verständlich und auch nachvollziehbar.
    "Verantwortung" in dem von mir benutzten Kontext bezog sich deutlich auf die Ergebnisse des eigenen philosophischen Denkens, so man diese denn als Argument zu verwenden beabsichtigt. Dass die leichte Ironie dabei nicht erkennbar zu sein scheint, verwundert mich:

    Zitat:
    "Verantwortung wäre allerdings ohnehin ein rein fiktives Problem, wenn der Mensch tatsächlich – wie etwa die Herren Singer und Roth vorschlagen – nichts weiter ist, als eine komplexe biomechanische Apparatur."

    Eben drum !

    Zitat:
    "Es wird sicher niemand die Wissenschaftlichkeit ihres Tuns in Zweifel ziehen, wohl aber gibt es gute Gründe, ihre Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen:Tatsächlich ist die Neurowissenschaft weit davon entfernt, das menschliche Gehirn zu verstehen. Ob sie es überhaupt jemals in seiner Funktion vollständig erklären kann ist ungewiss."

    Dies scheint mir, mit Verlaub, lediglich ein ziemlich banaler Allgemeinplatz zu sein: Welcher ernstzunehmendePhilosoph hätte denn jemals die Möglichkeit auch nur in Erwägung gezogen, der Mensch könne irgendwann über irgendetwas eine vollständige Gewissheit haben? Warum wohl schrieb ich ausdrücklich von "Indizien", Thesen und Theorien? Und wo bitte ist denn die angeblich notwendige "Evidenz" der logischen Folgerungen aus wissenschaftlichen Forschungsergebnissen bei den Vertretern der Gegenposition auszumachen?

    GEGEN die Existenz eines "freien" Willens sprechen immerhin diverse wissenschaftliche Forschungsergebnisse, FÜR seine Existenz spricht lediglich der Umstand, dass sie ebenso beharrlich wie unbewiesen immer wieder behauptet wird.

    Zitat:
    "Zudem scheint mir die Frage, was Bewusstseins sei, in den Händen von Menschen, deren Fachgebiet Neurophysiologie und Hirnchemie sind, nicht sonderlich gut aufgehoben."

    Nun, mir "scheint" sie nirgends besser aufgehoben. (Sofern sie überhaupt beantwortbar ist. Was ich von sogenannten Wissenschaften wie Soziologie und Psychologie halte, brauche ich angesichts dieser Formulierung gar nicht erst auszuführen.)

    Letztes Zitat:
    "Thesen aufzustellen kann dem Diskurs unter den Wissenschaften nur förderlich sein – eine nicht falsifizierbare oder nicht befriedigend verifizierte Theorie als Faktum anzunehmen, ist allerdings kein guter wissenschaftlicher Stil."

    Nun dies sehe ich genauso. Deshalb nehme ich die durch nichts verifizierte – wissenschaftlich aberals höchst unwahrscheinlich erscheinende – Theorie der Existenz eines freien Willens auch nicht als Faktum an.
    Und Faktenwissen in dem von mir verwendeten Kontext bezog sich erkennbar nur auf die "Kenntnis" der Veröffentlichungen und der Position von Singer und Roth, nicht auf den Tatsachengehalt derer abgeleiteten philosophischen "Erkenntnisse" daraus, da stolpertt Herr Singer ja bereits selber durch Widersprüche und Halbheiten, dass es nachgerade peinlich anmuten könnte.
    Das, was an logischer Nachvollziehbarkeit übrig bleibt, halte icht allerdings immer noch für beeindruckender als die religiös klingenden Glaubenssätze von Psychologen und Soziologen.

    Um die "Liebe zur Weisheit" im Disput erfolgreich leben zu können, ist es wichtiger, zu wissen, was Einstein und Singer herausgefunden haben, als zu wissen, was Kant oder Schopenhauer gedacht haben. Letzteres kann nämlich jeder intelligente Mensch selber denken, bezüglich naturwissenschaftlicher Fakten ist man auf Fachleute angewiesen,

  11. Hallo reflektor,
    deine Glorifizierung der Naturwissenschaften in allen Ehren, aber bitte mäßige deinen Umgangston, wenn Du hier beginnst Menschen wenig Sachkenntnis zu unterstellen etc. dann ist das nicht die Form die hier üblich ist. Du magst dem Diskurs der Neurowissenschaft begegnen wie Du willst, aber es ist, auch wenn es Dir so erscheinen mag, nicht der einzige philosophische Diskurs. Man kann seinen Standpunkt auch respektvoll vertreten. Auch empfinde ich deine Verengung von Philosophie auf Lebenskunst eine Definition, die man so stehen lassen kann, die aber der gesamten Philosophie nicht gerecht wird. Hieran schließt sich auch gleichsam der Zerriß der frühen Denker an… ich möchte gar nicht auf jede Einzelheit eingehen, mein Grundanliegen sollte klar sein und wenn Schopenhauer und Kant nichts besonderes sind, dann schreib doch ein wenig von dieser unneurowissenschaftlichen Philosophie, dann wirst Du ja kommendes Jahr in einem Atemzug mit Derrida, Martha Nussbaum & Co. genannt und ich freue mich auf deine ersten Werke.

  12. Ich denke, ein Problem in diesem Diskurs ist, die Positionen auf eine Gegensätzlichkeit von Natur- und Geisteswissenschaften in dem Maße anzunehmen, wie es hier teilweise gemacht wird. (Chris hat dies ja auch schon angemerkt.)
    Prof. Rheinberger, seines Zeichens Philosoph u n d Molekularbiologie, also Natur- und Geisteswissenschaftler, hat zum Verhältnis der beiden Wissenschaftsgebiete letzte Woche an der Uni Mainz einen interessanten Vortrag gehalten. Die erste Erkenntnis für mich war, dass diese Gebiete, wie auch die einzelnen Disziplinen innerhalb der Gebiete, schon aktuell nicht so klar geschieden sind, wie es die landläufige Vorstellung denkt. Und außerdem, und da stütze mich nicht nur auf Herrn Rheinberger, sondern auf einen breiten Diskurs, durchaus "auf beiden Seiten des Zauns", ist Reflektors Aussage, dass die Neurowissenschaft die feste Grundlage des Philosophierens sein sollte, wissenschafttheoretisch so nicht ganz haltbar.
    Natürlich sollte die Philosophie die Neurowissenschaften nicht hochmütig links liegen lassen, was sie auch nicht tut (Theory of Mind, mit zum Beispiel Herrn Prof. Metzinger in Mainz). Aber auch die Naturwissenschaft stützt sich auf eine Metatheorie der Erkenntnis. Wenn man z.B. annimmt, dass nur eine widerspruchsfreie Aussage wahr sein kann, dann ist das so eine erkenntnistheoretische Voraussetzung, die jetzt hier auch nicht zur Disposition stehen soll. Aber es gibt solcher Voraussetzung innerhalb eines Forschungsprozesses, egal welcher Disziplin, sehr viele. Manche davon werden reflektiert in den Erkenntnisprozess aufgenommen, manche nicht. Innerhalb der Erkenntnistheorie und ihren expilziten und impiziten Voraussetzungen gibt es, auch in der Naturwissenschaft, eine historische Entwicklung. Reflektor stimmte ja zu, dass es keine letzte Wahrheit gibt, aber wie kann er dann seine Vorstellung von Objektivität halten? Die Annahme, dass es diese Wahrheit gibt, ist nämlich eine mehr oder weniger impilzite Voraussetzung dieses Konzepts. In der Philosophie, wie auch in anderen Geisteswissenschaften, geht man heute wesentlich vorsichtiger mit dem Konzept der Objektivität um, als manchmal in der (populären Seite der) Naturwissenschaft.
    Man kann nicht bewießen, man kann nicht mal Indizien dafür liefern, dass der freie Wille nicht existiert, wenn man keine Vorannahme darüber hat, was der freie Wille ist und wie dieser aussieht. Um so eine Vorannahme nicht einfach eine alltagsweltliche Setzung eines Einzelnen sein zu lassen, braucht es einen philosophischen Diskurs darüber, was der freie Wille eigentlich sein soll. Herr Roth hat übrigens auch Philosophie studiert, soweit ich weiß, nachdem er schon Neurowissenschaftler war, also erschien es ihm wohl wichtig. Herr Singer hat sich meines Wissens mittlerweile von seinen früheren Äußerungen über den freien Willen teilweise wieder distanziert und beide, Roth und Singer, sind innerhalb der Neurowissenschaften sehr umstrittene Personen. Längst nicht alle Neurowissenschaftler teilen ihre medienwirksamen Auffassungen.
    Ich habe einen Aufsatz von Roth gelesen, der den freien Willen behandelte und seine Definition des freien Willens und der Seele, war bewusst sehr veraltet und alltagsweltlich gewählt, damit sie sich mit seinen Argumenten besser angreifen lies. Es sind nicht nur die Fakten, es sind auch die Begriffe, in denen man sie interpretiert.

  13. @reflektor:
    Zugegeben, meine Sachkenntnisse im Denkhorizont eines Singer oder Roth halten sich in Grenzen. Dafür kenne ich mich bei besagten zwei Philosophen, nämlich Kant und Schopenhauer, wohl etwas besser aus. Es ist richtig, dass man auch das nötige Faktenwissen zum Philosophieren benötigt. Die Sinnhaftigkeit der eigenen Denkergebnisse zeigt sich aber nicht zuletzt auch darin, dass man weiterdenkt, Widersprüche aufdeckt, zweifelt und sich nicht von vermeintlichen Experten am eigenen Denken hindern lässt. Im übrigen kann wohl auch jeder intelligente Mensch – wenn er will – naturwissenschaftliche Fakten nachprüfen und bei Bedarf revidieren.

    Weiterhin scheint es mir notwendig zu sein, über den Begriff der "Wissenschaft" zu diskutieren. Wenn sie zum reinen Dogmatismus wird, ähnelt sie nämlich in erschreckender Weise religiösem Fanatismus.
    In der Tat sollte man Geistes- und Naturwissenschaften nicht so konträr betrachten, wie es gemeinhin getan wird; man muss bedenken, dass letztlich jede sogenannte Wissenschaft aus der Philosophie hervorgegangen ist.

  14. 1. "Man soll das Denken lehren, nicht Gedachtes !"

    Ist nicht von mir, war aber bereits meine Auffassung, bevor ich es irgendwo las.

    2. @chris
    Zitat: "….dann wirst Du ja kommendes Jahr in einem Atemzug mit Derrida, Martha Nussbaum & Co. genannt und ich freue mich auf deine ersten Werke."
    Deine Anmerkungen vor diesem letzten Satz lassen ihn als ironisch formulierte Unehrlichkeit erkennen, wogegen ich nicht das Geringste habe, bereiten mir doch Ironie und Sarkasmus mitunter einen Heidenspass.
    Allerdings begibst Du Dich damit zumindest eines Teils der Berechtigung, mich so zu kritisieren, wie Du es getan hast: Abgesehen von meiner leichten Ironie an zwei Stellen habe ich nämlich auch nach mehrfachem Lesen meiner Texte nichts gefunden, das hinsichtlich des verwendeten Tones zu beanstanden wäre, ganz davon abgesehen, dass es mir ohnehin unerfindlich ist, wie man in Geschriebenem einen "Ton" ausmachen kann. Ich persönlich hätte es auch für interessanter gefunden, wenn Tom, mit dessen Aussagen ich mich dezidiert auseinander gesetzt habe, genau so sachlich dagegen argumentiert hätte,

    "Glorifizierung der Naturwissenschaften", "Verengung von Philosophie auf Lebenskunst eine Definition", "der Zerriß der frühen Denker"; das sind allesamt unzulässige Verfälschungen meiner Einlassungen, aber keine logisch nachvollziehbaren Argumente, und nur die zählen in einem Disput, gepredigt wird woanders.

    Es ging hier eingangs um die Frage, ob es einen "Fortschritt, ein Vorankommen im Denken" geben könne: Wie soll das möglich sein, wenn auf der Basis ständig zunehmenden Faktenwissens um die physikalischen Grundlagen krampfhaft weiterhin versucht wird, die aus Unkenntnis und Hilflosigkeit geborenen Glaubenssätze der Altvorderen als der Weisheit letzter Schluss zu verkaufen ?

    Philosophie ist für mich die "Liebe zur Weisheit". (Wer Lesen kann, unterstellt mir nichts Anderes). Wenn unklar ist, welche Definition von Liebe und von Weisheit hier zugrunde liegen, ist vielleicht darüber zu diskutieren, aber meine Bemerkungen mit einem völlig anderen Philosophiebegriff zu messen, macht nicht den geringsten Sinn.
    Wenn die Philosophie der Berufsphilosophen zu nichts Anderem taugt, als sich gegenseitig und nachträglich die Grösse im Denken zu bescheinigen, Werke zu verfassen, die ausser Ihnen selbst nur einige Hochbegabte zu verstehen in der Lage sind und im Übrigen der Mehrheit der menschlichen Gesellschaft nicht zweckmässigere Antworten auf existentielle Fragen geben können als Religionsführer und andere Märchenerzähler, dann kann sie mir gestohlen bleiben.
    Dennoch werde ich mich selbst immer als "Philosoph" wahrnehmen. (Vermutlich!)

    3. @Sonja
    Ich danke Dir, Du hast immerhin eingeräumt, dass auch ich erkennbar keine letzten Wahrheiten für entdeckbar halte.
    Aber Deinen Satz
    "Man kann nicht bewießen, man kann nicht mal Indizien dafür liefern, dass der freie Wille nicht existiert, wenn man keine Vorannahme darüber hat, was der freie Wille ist und wie dieser aussieht."
    solltest Du noch einmal überdenken:
    Seit wann ist es denn eine (in welcher Art von Wissenschaft auch immer) zulässige Forderung, die "Nicht"existenz von Etwas beweisen zu müssen, dessen Existenz selbst völlig unbewiesen (und zudem noch prinzipiell unbeweisbar) einfach behauptet wird? Alles, was gedacht werden kann, existiert, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist?
    Ist das die Grundlage Deines philosophischen Denkens?.

  15. Zwei Sachen, zum Einen hast Du bereits in deinem ersten Kommentar kundgetan, dass Philosophie "im besten Fall tragfähige Lebenskonzepte für jeden Einzelnen zur Folge haben kann". Wenn das nicht eine Philosophie auf Lebenskunst verengt, dann weiß ich auch nicht weiter. Zum Anderen schreibst Du in der Tat alle Denker vergangener Tage der Philosophiegeschichte zu, weil sie von der Neurowissenschaft überholt sind. Niemand verkauft dabei einen Atomismus des Demokrit oder den sagenumwobenen Logos eines Heraklit heute als Wahrheit. Auch halte ich es für unhaltbar, die gesamte Philosophie der Antike, selbst vor den Errungenschaften der Neurowissenschaften, als Glaubenssatz abzutun. Es würde mich tatsächlich interessieren, wie eine derartige Haltung in einem engagierten Quellenstudium entstehen kann; denn ganz ohne diese Epoche glorifizieren zu wollen, wiedersetzt sie sich einer derartigen pauschalen Feststellung nach meinem Dafürhalten mannigfach.
    Ich bin darüber hinaus alles andere als lesefaul, und zeitgenössische Publikationen, die man nur als Hochbegabter versteht, sind mir fremd, das scheint mir zum einen recht polemisch gegen die akademische Zunft, zum anderen aber auch eine Art von Effizienzforderung an die Philosophie zu stellen (sie müssen zweckmäßige und verständliche Antworten auf existentielle Fragen geben), die leider ganz Zeitgeist ist. Aber selbst wenn ich zustimmen würde, dass es alles so schwerlich zu verstehen sei (was ich nach wie vor nicht tue), bliebe immer noch die Frage, wieso anzunehmen ist, dass die Antworten leicht sein können und müssen.

    Zuletzt, um Sonja vorzugreifen und eine Antwort auf die Frage an sie zu geben, ist es gemeinhin eine zulässige Forderung der Beweislast einer Nichtexistenz, sofern die Proklamation der Nichtexistenz der alltäglichen Erfahrung zuwiderläuft.

    Nun, es war zu erwarten, dass wir beide divergierende Vorstellungen von Umgangsformen haben, sonst wären wir kaum an diesen Punkt gekommen. Ich möchte es damit auch bewenden lassen. Aber es mag dich beruhigen, dass ich mich, im Unterschied zu dir, nicht als Philosoph bezeichne.

  16. Mir scheint, dass die Diskussion sich über dem Versuch, mehrere unterschiedliche Richtungen gleichzeitig einzuschlagen, ein wenig zerfasert ist, was offenbar weder der ursprünglichen Fragestellung noch den Folgefragen dienlich ist.
    Davon abgesehen kann es nicht unser Anliegen sein, einander fehlende Sachkompetenz zu unterstellen oder hier wasauchimmer zu beweisen. Dunkelraum versteht sich als offenes Forum, das dem freien Austausch von Gedanken zu bestimmten Themen, die in den Artikeln vorgeschlagen werden, dienen soll. Ohne, dass sich alle Teilnehmer gründlich eingearbeiten müssten, steht (zumindest für mich) eben das im Mittelpunkt: Das Denken aus Liebe zur Weisheit, das gemeinsame Philosophieren unter Wahrung des gegenseitigen Respekts – und diese Fähigkeit ist prinzipiell allen gegeben.
    Nutzen wir sie!

    Zum Thema:
    Ob der freie Wille nun eine reale Bedingung der menschlichen Existenz ist, oder ein wie auch immer geartetes Konstrukt, das sich als naiver Schluss aus unserer Welterfahrung ergibt, können wir nicht entscheiden.
    Ich finde es dennoch gut und richtig, diese Frage zu stellen – sie ist unbequem, was zumeist ein sicheres Anzeichen dafür ist, dass man sie nicht ignorieren sollte. Zudem taucht sie auf Dunkelraum mit erstaunlicher Beharrlichkeit immer wieder auf, woraus ich schließe, dass ihre Brisanz nicht rein akademischer Natur ist…

    Die interessante Frage, inwiefern man sich durch die (wie auch immer geartete) Beschäftigung mit Philosophie zu einem anderen Menschen entwickelt, wie Chris vorschläge, ist zu meinem Bedauern untergegangen.
    Natürlich würde ich dem nicht in dem Sinne widersprechen, dass der Mensch im Laufe seines Lebens zu keienr Entwicklung fähig ist – mein Problem dabei ist nur, dass wir an diesem Punkt nur noch eine Handbreit von einem hierarchischen Denken entfernt sind, denn wer würde nicht sagen, dass man "mehr" ist als zuvor, nachdem man gewachsen ist? Ist man dann nicht auch mehr, als jemand anders, der diesen Weg noch vor sich hat?

    Schnitzler schreibt: "Wenn du vor den Altar der Wahrheit trittst, so wirst du dort viele auf den Knieen [sic] finden. Doch auf dem Weg dahin wirst du immer allein gewesen sein." Ich bemühe den guten Mann schon wieder, weil ich finde, dass sich in diesem Aphorismus etwas von Candide und Siddhartha (und anderen) findet: Jeder muss seinen eigenen Weg (mit allen Umwegen und Kreisen) finden, aber letztlich, sei es am Ende des Lebensweges, sei es zu Füßen der "großen Fragen", sind alle gleich weit von Start- und Ziellinie entfernt. Damit will ich nicht sagen, dass persönliche Entwicklung eine Illusion sei, aber mit dem Vergleich beginnt in meinen Augen schon die Abwertung anderer, ohne, dass es eine Grundlage dafür, einen intersubjektiven Maßstab gäbe.

  17. Hallo Thomas,
    eine Philosophie der Hierarchie wäre in der Tat ein interessantes Projekt, tatsächlich muss es ein mehr geben, alleine damit wir ein Lehrer/Schüler Verhältnis konstituieren können und nicht ein fünfjähriger theoretische Mathematik unterrichtet (was nun nicht heißen soll, ein Lehrer könnte von seinen Schülern nichts lernen), außerdem werde ich tatsächlich gerne von einem Chirurg operiert und nicht von dir (kein Affront!).
    Das aus dem mehr an Wissen einen Wissenshierarchie folgt ist für mich keine Frage, für dich ja anscheinend auch nicht, aber ob aus einer Wissenshierarchie eine wertmäßige Hierarchie abgeleitet werden kann hängt doch maßgeblich vom Weltbild ab. In einem utilitaristischen Weltbild dürfte das beispielsweise kein Problem sein, in einem philantrophischen (ein starker Gegensatz, aber er dient nur als Beispiel), dürfte es schwer werden.

  18. Ich hielte es natürlich auch nicht für eine gute Idee, Lehrstühle mit Kindergartenkindern zu besetzen und aufgeschlossene Laien mit chirurgischen Eingriffen zu betrauen (obowhl ich dir schon gern mal in den Kopf gucken würde) – innerhalb einer Wissenssphäre zweifle ich nicht an mess- und hierarchisierbaren Unterschieden in Kenntnis und Erfahrung.
    Problematisch wird es eben, wenn man dazu tendiert, eine hohe "Qualifikation" auf einem Gebiet auf ein anders oder ins Allgemeine zu übertragen: Ein hervorragender Arzt ist etwas Besseres als ein Hausmeister. Wenn es um Medizin geht, trifft diese Aussage fraglos zu – im allgemein Menschlichen hingegen ist sie nicht zu halten.

  19. Denke, da sind wir uns mehr als einig. Es ist ein Thema, das sich seit der Antike durchhält, um aus der Apologia Sokratous nach dem Gedächtnis zu zitieren: Kaum haben sie es auf ihrem Gebiet zu etwas Ruhm und Weisheit gebracht, glauben sie auf allen Gebieten weise zu sein.

    Erschreckender Weise scheint es mindestens genauso aktuell zu sein wie damals, was nun den Zirkel zur Evolution des Denkens schließt.

    Leider ist diese Überheblichkeit, oder "Überwertigkeit", mit dem passenden Weltbild durchaus zu halten, wenn es auch nicht so recht konsistent sein kann. Aber solange es den Menschen nicht auffällt, funktioniert es. Hier scheidet sich Theorie und Praxis. Grob fahrlässig: Wer mehr verdient, dessen Arbeit ist wertvoller.

  20. Ich habe keine Kenntnis über die Motivation derer, die hier posten, ja inzwischen gestatte ich mir noch nicht einmal mehr Vermutungen darüber.

    Aber ich weiss, warum ich selbst nach über 50 Jahren angestrengter Denkarbeit zur Erlangung von "mehr" Weisheit versuche, mich an Diskussionen dieser Art zu beteiligen:

    Um die denkbare Chance, durch das Finden geistiger "Verwandter" die Gefahr geistiger Vereinsamung bannen zu können, nicht fahrlässig zu verspielen.

    Niemals zuvor hat mir das "Stammpersonal" in ähnlichen Einrichtungen derart rasch die Zwecklosigkeit dieses Unterfangens verdeutlicht.

    Diesen Umstand hier abschliessend zur Kenntnis zu bringen, erleichtert es mir, damit so gelassen umzugehen, wie es die derzeitige Überzeugung, dass Alles unausweichlich ist, verlangt.

  21. Das ist schade, zumal damit viele interessante Fragen unbeantwortet bleiben, die deine provokante These nach sich zog, sei es, dass keine Naturwissenschaft ihre Metaebene selbst generieren kann (Sonja), oder der Einwand des drohenden Wissenschaftsdogmatismus (Ann), ferner im Allgemeinen, da von allen angesprochen, die gewordene Dichotomie von Natur- und Geisteswissenschaften und ihre wechselseitigen Implikationen. Auch hätte es mich gefreut, auf meine Antworten eine Antwort zu erhalten, nämlich an welcher Stelle Du die Antike nicht reduzierst, wieso Nichtexistenz, auch wenn sie der alltäglichen Erfahrung zuwiderläuft, nicht bewiesen werden muss, wie Du deine Effizenzforderung an die Philosophie mit der Forderung eines freien Geistes verknüpfen kannst, und zu guter letzt, wieso nun Kant und Schopenhauer jeder denken kann, denn meine Aufforderung, wenn es so leicht sei, selbst derartiges zu schreiben, war auch keinesfalls ironisch, sondern sollte vielmehr demonstrieren, dass es womöglich doch so leicht nicht ist.

    Die Frage nach geistiger Verwandtschaft ist leider nun eine ganz andere Ebene als der vorausgegangene sachliche Diskurs. Aber so bleibt alles offen und es ist auch nicht Anliegen dieser Plattform eine Antwortzwang zu generieren, sondern jeder kommt und geht, wie er will. Viel Glück auf deiner Suche!

  22. Da ich gerade gestern eine ausführliche Diskussion über Wissenschaftstheorie und die Selbstreflexivität von Philosophie mitbekommen habe, finde ich es auch schade, dass man die im Grunde ganz ähnliche Diskussion hier, mit ihren sehr unterschiedlichen Positionen, nicht weiterführen kann… Die Frage, wer sich selbst zu den Philosophen zählt und wer dies nicht tut, ist dabei auch überhaupt nicht trivial. Das abschätzige Abtun von Wissen als bloßer Gelehrsamkeit ist ja so alt wie die Philosophie selbst und auch die Ansicht, dass ein "echter" Philosoph gelesen werden muss ohne selbst viel gelesen zu haben, d.h. ohne viele Vorkenntnisse der Denkgeschichte zu haben, ist wohl nicht neu.
    Damit kommt man dann auch wieder zu der Frage einer Wissenshierarchie.
    Und das Kreisen um ein Zentrum scheint mir da besonders deutlich zu werden, wo das Philosophieren sich selbst als nichtig zu erkennen glaubt.

  23. – Zum Thema Provokation wollte ich auch gerade etwas schreiben. Reflektors Kommentare haben die Diskussion nicht gerade einschlafen lassen, wenn ich mir das so ansehe; mir persönlich hat das gefallen. Es ist doch klar, dass Auseinandersetzungen nicht unbedingt nur Harmonie und Einverständnis zur Folge haben. Ein paar Spitzen machen es jedenfalls nicht langweiliger, und -nun ja- zeugen nicht von Gleichgültigkeit, was mir persönlich sympathisch ist – wie Widerspruchsgeist grundsätzlich. Ich plädiere hier also mal kurz und ungefragt für tolerante Streitlust, und auch für ein wenig Humor (ja, Humor, genau, nicht zu verwechseln mit mangelnder Ernsthaftigkeit).

    Tom, was dieses "Mehr" betrifft…vielleicht ist die "Abwertung", die dadurch stattzufinden scheint, gar nicht so unzweckmässig. Ist natürlich verdächtig, dass Du überhaupt darauf kommst- nee Unsinn, nur Spass, ich kann persönlich davon ein Lied singen. Im Sinne von "mehr Status" ist sie geradezu lachhaft; ein Spiel, ein sozialer Luftballon; wo sowas stattfindet, entfernt man sich besser, wenn man auch nur irgendwas ernst meint bzw keine Lust auf oder Zeit für Inszenierungen hat- wobei auch das erlaubt wäre, wenn’s gefällt. Und im Sinne von Entwicklung des Einzelnen ist sie ein Antrieb, eine Provokation. Dumm, wenn der Trotz (gegen Hierarchie zB) soweit führt, dass man sich gar nichts mehr "beibringen" lässt; schön, wenn man für sich was "kleingekriegt" hat. Werten ist eben auch manchmal prima- alles andere wäre Stillstand. Und "Stillstand" ist grade bei Autodidakten ein ziemlich wahrscheinliches Ärgernis 🙂 – Meine bescheidenen, vielleicht etwas vom Thema abweichenden Gedanken 🙂

  24. Aus dem vagen Gefühl heraus, dass mein Beitrag anders aufgefasst wurde, als er intendiert war: Innerhalb einer Wissenssphäre ist es intersubjektiv absolut nachvollziehbar, dass es eine Hierarchie gibt – und geben muss, wie Chris mit seinem unzweideutigen Bild illustriert hat.
    Und hier ist fraglos eine Movtivation zu finden, die es nicht gäbe, wenn man unterschiedliche Wissensniveaus auf die gleichen Stufe stellen wollte. "Von Besseren lernt man am meisten" gibt eben nicht nur beim Schach – und der Wunsch, es ihnen gleichzutun fördert gewiss die Konzentration und die Beharrlichkeit des eigenen Strebens.

    Unberechtigt und wenig nützlich finde ich hingegen die verbreitete Attitüde einer Vielzahl von Bildungsadeligen, sich in jeder Hinsicht meilenweit über den Sterblichen zu wähnen. Natürlich würde auch ich mir als hochdekorierter Professor in einer Diskussion innerhalb meines Kompetenzbereichs nicht von einem beflissenen Laien mein Fach erklären lassen – dennoch gibt es keinen Grund, warum ich ihm nicht den gleichen grundsätzlichen Repekt entgegenbringen sollte, wie ich ihn ungekehrt erwarte…

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