Was ist hier zu sagen, was nicht schon tausend Male gesprochen wurde, aus allen Winkeln der Erde als Gedanke aufstieg und sich bei allen Beerdigungen den Gehirnen der Gäste bemächtigte?
Nicht viel, so schätze ich, darum will ich nicht damit langweilen auszuführen, dass der Tod Nahestehender auf unsere eigene Sterblichkeit verweist; ebensowenig ist es mir ein Bedürfnis an dieser Stelle über das, was nach dem Tode kommen mag, zu debattieren. Hier soll nur die Trauer der noch Lebenden eine Rolle spielen. Tiefe Trauer, wie sie Eltern beim Verlust eines Kindes oder Kinder beim Verlust der Eltern empfinden. Starke Trauer wie wir sie empfinden, nachdem ein Mensch verstorben ist, dem wir uns zu Lebzeiten tief verbunden fühlten und noch nach seinem Tode fühlen. Eben jene Trauer, die nicht bereits eine Stunde nachdem der Leichnam unter die Erde geschafft worden ist, vom Leben hinfortgetragen wird.

In der Medizin wird diese Trauer reaktive Depression genannt und klingt per Definition nach spätestens einem Jahr ab. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass die Erinnerung an den Verstorbenen aus unserem Denken verschwindet, sondern das sie uns nicht mehr sonderlich belastet.
Manchen mag dies als Segen erscheinen, die Gewissheit, das das Leben funktionierend weiterverlaufen kann, auch wenn eine wichtige Person von uns fortgerissen wird. Aber ist es nicht auch gleichsam ein schrecklicker Gedanke? Die Einsicht, dass über jede Kluft, welche in unser Leben durch den Tod von Nahestehenden getrieben wird, eine Brücke gebaut werden kann und somit ein jeder doch streng gesehen entbehrlich erscheint? So kontraintuitiv es auch erscheinen mag, dies ist die Konsequenz, die aus den Gedanken des Mediziners unweigerlich folgt.
Zu einem bedauernswerten Lebewesen wird der Mensch, behält der Mediziner Recht in seiner Vermutung. So erschreckend die Alternative einer lebenslangen Trauer auch erscheinen mag, ist der Gedanke an die Entbehrlichlichkeit Nahestehender nicht weniger erschreckend, vielleicht weitaus grauenhafter. Die einfache Wahrheit wäre dann: Wir brauchen immer jemanden, aber niemals jemanden im Speziellen. Es scheint, wir stehen hier immer auf der Seite der Verlierer, entweder auf der Seite der lebenslangen und alles überschattenden Trauer oder auf der Seite in der ein jeder doch entbehrlich für unser eigenes Leben ist.

Ob die Mediziner nun aber wirklich die menschliche Realität in ihren Termini erfassen können, bleibt zweifelhaft. Für die Wenigen (es gibt sie!), die nach dem Tode Nahestehender in eine lebenslange Trauer verfallen und vor einer unüberbrückbaren Kluft stehen, haben die Mediziner jedenfalls auch eine (wie sie sagen, schwerere) Krankheit erfunden.
Die Frage, inwieweit der Mensch autark gegenüber anderen Menschen in seinem Lebensvollzug ist, bleibt unbeantwortet.

Zeit nachzudenken.

7 Antworten auf „“

  1. Trost, Hoffnung, Vertrauen, Trauerarbeit…

    …sind wir PHILOSOPHEN aber, was das Gebiet des Todes angeht, nicht auf die Rolle ALS KNECHTE und MÄGDE DER KIRCHEN zurückgeworfen?

    Ich wüsste nicht, wie man darüber eigenwertige Aussagen machen kann, die nicht der letztlich unbeweisbaren Metaphysik und Dogmen huldigen. Würde mich aber gerne eines besseren belehren lassen.

  2. zu Nils: Ich muss gestehen, ich sehe mich nicht als Philosoph, vielmehr als jemand, der durch ausdauerndes Lesen versucht erst einmal philosophieverständig zu werden. Ich begegne dem Begriff des Philosophen mit zu großer Demut, um mich selbst so zu benennen.
    Der obige Artikel befasst sich nicht mit Aussagen über den Tod ("ebensowenig ist es mir ein Bedürfnis an dieser Stelle über das, was nach dem Tode kommen mag, zu debattieren"), sondern über das, was der Tod Nahestehender über den Menschen verraten könnte. Ich denke nicht das auf Basis des Artikels eine Wahrheit herauskristallisiert werden kann, vielmehr das er vielfältige Positionen zulässt. Und setzt man sich selbst als verstorbenen Nahestehenden lehrt er vielleicht sogar etwas Demut: Wie wichtig kann ich wirklich für andere sein?

  3. Sali Chris,

    Du hast natürlich recht. Echte Philosophen sind jene, bei denen man am 100sten Todestag feststellt, dass sie einige Schulen und Deutungsrichtungen nach sich zogen, vielleicht sogar emergent wirkten, d.h. etwas ganz neues schufen. In diesem Sinne bin ich natürlich weniger ein Philosoph als vielmehr ein Philosophierender, da ich mir lesend – verstehend – nachvollziehend das aneigne was andere vor mir bereits dachten.

    Was der Tod nahestehender über den Menschen verrät, bei dem ja die Tatsächlichkeit nicht zur Gewissheit verhelfen kann sondern einzig der Glaube selbst die Faktizität ist, ja alles dem Glauben überlassen ist, hast Du ja mit dem demütigen Mut schon bezeichnet. Diesen demütigen kann man auch mit dem frechen Mut kontrastieren, wie es Kirkegaard tut. Er führt weiter aus, dass die beiden Gemüter davon abhängen, wieviel Leidenschaft im Verhältnis zur Bewunderung ein Mensch hat. Jene Menschen, die prosaisch veranlagt und ohne Phantasie und Leidenschaft sind, die also nicht recht befähigt sind zu bewundern, die beschränken sich darauf, zu sagen: Dies will nicht in meinen Kopf hinein, ich lasse es stehen. Das sind die Skeptiker.

    Für die andere, mit demütigem Mut ausgestattete Seite gilt (ich zitiere im Folgenden Kirgekaard: Krankheit zum Tode (1996): 81f.): "Je mehr Leidenschaft und Phantastie aber ein Mensch hat, je näher er also einem gewissen Sinne, nämlich in der Möglichkeit, daran ist, glauben zu können, nota bene, indem er anbetend sich unter das Außerordentliche demütigt, desto leidenschaftlicher die Verärgerung, die sich zum Schluss nicht mit weniger zufrieden geben kann, als DIES MIT DER WURZEL AUSZUREISSEN, ZU VERNICHTEN, IN DEN SCHMUTZ ZU TRETEN." (Hervorhebung von mir CNA)

    Um diese Philosophiererei ein wenig assoziativ aber wahr zu einem unversönlichen Ende zu bringen, sollte man mit Kirgekaard annehmen können, dass demütiger Mut und Glaube die Ursache von Gewalt sind. Was sonst ist mit Ausreissen, Vernichten und Treten gemeint als rohe Gewalt? Die Demut ist also weit davon entfernt, das Gattungswesen in einem moralischen Fortschritt umzuformen, sondern vervielfacht das Potential der Gewalt. Sollte also angesichts des Todes nicht besser die andere Seite der Kirkegarardschen Differenz, die ihm gegenüber indifferernte Position des prosaischen Skeptikers eingenommen werden, die zwar nicht leidenschaftlich und phantasievoll, dafür aber auch nicht gewalttätig und das Töten vervielfachend ist?

  4. zu Nils: Ich denke, dass der Skeptiker von dir nicht zureichend beschrieben ist. Es geht nicht darum, dass etwas nicht in seinen Kopf hinein möchte, sondern das er die absolute Gewissheit ablehnt und zweifelnd bleibt. Dieses Verhalten liegt aber nicht an mangelndem Vermögen.

    Kierkegaards erscheint mir im Bezug auf Demut problematisch, schon deshalb, weil Kierkegaard seine Gedanken nicht an ähnlichen Kriterien entwickelt, wie andere Philosophen. Aber lassen wir das beiseite, da ich auf eines hinweisen möchte: Ich sprach davon, dass der Artikel *etwas* Demut lehren könne, dies bedeutet nicht, das am Ende ein demütiger Mensch steht, sondern ein Mensch, der realisiert, das seine Position im sozialen Kontext nicht absolut ist und er trotz seiner Einzigartigkeit keine Notwendigkeit für andere darstellt.

  5. Der Tod eines Nahestehenden belastet den Hinterbliebenen auch noch nach über einem Jahr … weil der Hinterbliebene auf seine Art nicht loslassen kann … Gründ(e) … ? Zorn darüber, dass der Verstorbene gegangen ist (vl. sogar ohne Abschied…, … gewaltsam…). Die Hinterbliebene ist nachtragend… (!) .. die negativen Gefühle lassen sich nur schwierig beschreiben… sie sind verwirrend… hinterlassen Unsicherheit im Leben … diese Art von Gefühlen lassen keine Nähe anderer Menschen zu ? … Wie kann sich der Hinterbliebene lösen/retten … ?

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