Vom Antrieb aller Menschen

Was ist es, das uns bewegt? Folgt man Aristoteles in der Nikomachischen Ethik im ersten Buch Kapitel 1 und 2, so lernt man, dass alle Menschen stets nach einem Gut streben. Was dieses Gut nun ist, kann individuell ausgefüllt werden; für den Einen mag es das gefüllte Bankkonto sein, für den Nächsten ein harmonisches Familienleben, für einen Anderen wiederum das Streben nach Wissen und für den Vierten ein schmackhaftes Essen. Niemand käme auf die Idee etwas zu erstreben, was für ihn kein Gut ist. Das höchste Gut aber, so führt Aristoteles aus, ist das Glück und so erhoffen sich alle Menschen von den Gütern die sie erstreben das Gefühl des Glücklichseins.
Es scheint, dass Aristoteles an dieser Stelle den kleinsten gemeinsamen Nenner von allen menschlichen Handlungen beschrieben hat und somit das gefunden, was alle Menschen in ihren individuellen Handlungen eint. Auf dieser Ebene kann es keinen Unterschied mehr zwischen ihnen geben.

Findige Menschen werden einwenden, es gäbe Menschen die das Unglück erstreben, sich gar selbst verletzten oder aus dem Leben reißen. Von außen, mit mehr oder minder guten Gründen, mag eine solche Handlung als bewusste Herbeiführung von Unglück erscheinen, der Mensch der sie ausführt sieht allerdings in diesem Unglück das Glück, das er mit seiner Handlung erstrebt.

Aristoteles. Nikomachische Ethik. Buch 1. Kap. 1, 2

14 Antworten auf „Vom Antrieb aller Menschen“

  1. Die Annahme, nur "offensichtliches" Glück sei auch welches, erscheint mir in der Tat total oberflächlich. Vielleicht ist es so, dass es allen Menschen gemeinsam ist, die Abwesenheit von negativen Empfindungen und die Anwesenheit von Lust anzustreben. Wie das individuell erreicht wird, ist meiner Meinung nach wesentlich komplizierter zu bewerten als den gängigen Maßstab "schön, erfolg(reich), usw" anzulegen, klaro… Es gibt doch bekanntlich ziemlich viele Tiefen in menschlichen Charakteren, nicht mal "Freiheit" würde ich per se für jeden als Glücksempfindung einstufen…schließlich leben wir ja in einer Kultur, und was diese dem Menschen abverlangt, um diese inneren Bedürfnisse zu managen, ohne damit allzusehr in Konflikt zu geraten, scheint mir enorm vielschichtig. Hat Freud denn eigentlich Aristoteles gelesen? 🙂

    Grüße,
    Lotte

  2. Hallo Lotte,
    ich kann dir nur uneingeschränkt zustimmen.
    Auf dem Gedanken, dass alle Menschen die Lust erstreben und den Schmerz zu vermeiden suchen, hat Epikur ja auch seinen negativen Hedonismus errichtet… aber ob Freud Aristoteles gelesen hat? Das könnte ich mir gut vorstellen und wenngleich es mich überraschen würde herauszufinden, dass er niemals eines von Aristoteles‘ Werken in der Hand hatte, würde ich nicht beschwören wollen, dass er Aristoteles gelesen hat.

  3. …Das höchste Gut aber, so führt Aristoteles aus, ist das Glück…

    Im Prinzip ja doch viel zu hoch gegriffen. Uns treibt einzig das Bedürfnis "Gutes Gefühl" anzustreben und "Ungutes Gefühl" zu vermeinden. Dies Lässt sich interessanter Weise sogar sehr gut in einem Ursache-Wirkungs-Prinzip darstellen.
    Man beachte dazu:
    http://unsere-treibende-kra

  4. "Uns treibt einzig das Bedürfnis Gutes Gefühl anzustreben und Ungutes Gefühl zu vermeinden."

    Nunja, schön das es so konstativ in Form von Wahrheit zu verkaufen, ob es das aber ist? Determiniert es nicht zu sehr unsere Handlungen, gibt es nicht – beispielsweise im Bereich der Sozialisation – Dinge, die uns bewusst auf das, was du ‚gutes Gefühl‘ nennst, verzichten lassen? Geht es nur um Befriedigung? Kann es nicht jenseits der stumpfen Befriedigung nicht doch ein höheres Ziel geben, dass unverbrüchlicher oder zumindest etwas dauerhafter ist, als ein flüchtiges Gefühl als Resultat der Befriedigung eines Triebs? Mögen wir das Ziel Glück nennen, mag uns das von den Tieren unterscheiden und der Vielschichtigkeit menschlicher Entscheidungen Rechnung tragen, indem es einen dialektischen Ton in unser Streben bringt und unser Gegenüber miteinbezieht.

  5. Hallo Chris,
    gutes Gefühl zu erlangen hat in diesem Sinne ausschließlich damit zu tun, dass wir bei allem was wir tun und lassen, sofern wir nicht von außen gezwungen werden, also nicht die Wahl haben, immer per se so entscheiden und tun, dass wir per saldo ein gutes oder besseres Gefühl haben als wenn wir anders oder und dagegen entscheiden würden.
    Ob ich einem Bettler spende, ob ich meine Steuern bezahle oder nicht, ob ich Sadist bin oder unter dem Maria Theresa Syndrom leide. Egal wie auch immer ich mich verhalte. Es wird für mich immer mehr positiv als negativ besetzt sein.
    Mag es sein, dass es Ziele gibt, die absolut uneigennützig, ehrenwert und höchsterstrebenswert sind. Doch wenn wir uns zu diesen bekennen, sie fördern und damit umsetzen, dann haben wir dabei ein gutes Gefühl. Ansonsten, wäre es sinnlos für uns es zu tun. Denn sinnlos = ohne Sinn = ohne Zweck etwas zu tun ist doch eher nicht vorstellbar. Alles hat einen Grund, ein Ziel, einen Zweck. Jedwedes Handeln ist zielgerichtet. Sonst wäre es doch überflüssig und könnte demnach auch keinem höheren Ziel dienen.

    Oder?

  6. Nein, verzeih, das ist zu einfach um der oben beschrieben Vielschichtigkeit der menschlichen Entscheidungen gerecht zu werden. Besonders im Hinblick auf Sozialisation die Werte an uns heranträgt, die mit unseren Wünschen konfligieren können und in denen Konfliktsituationen auftreten können, an denen der Mensch zerbricht (und Zerbrechen ist kein gutes Gefühl). Außerdem schließt "dein" Konzept (was eine 2400jährige Geschichte hat und sehr komplexe Ausformungen hervorbrachte) die absolute Selbstlosigkeit aus, nämlich die Aufgabe des eigenen Lebens für jemand anderen, den hier gibt es kein gutes Gefühl, da es nicht einmal Leben gibt.
    Ich zweifle nicht an, dass das Moment des guten und schlechten Gefühls existiert, aber menschliche Entscheidungsfindungen reichen darüber hinaus und erschöpfen sich nicht darin.

  7. Hallo Chris,
    es scheint als hätte ich jemand gefunden, der weiß von was er redet. Schade, dass die Kommunikation nur über dieses Fenster und so unpersönlich geht. Ich würde mich gerne mit Dir persönlich über dieses Thema auseinander setzten. Irgendwie reden wir aber nicht von der gleichen Sache. Deshalb werde ich noch einmal in Ruhe Deine letzte Meinung "zerlegen".
    Dazu brauche ich aber etwas Zeit. Ich melde mich wieder.
    Erst einmal vielen Dank für Deine Zeilen und schön, dass es Euch gibt

    Toerner

  8. Hallo Chris,

    Wie ich in meinem letzten Beitrag schon vermutete, wir reden nicht von der gleichen Sache.

    Ich bestreite in keinster Weise die Vielschichtigkeit des menschlichen Wesens. Welchen Anlass, welchen Trieb, welche Präferenzen er auch immer anführt um sein Tun zu rechtfertigen, es ändert nichts daran, dass es letztlich für ihn nur um den Erhalt eines guten Gefühls geht.

    Ganz oben ist Aristoteles angeführt.Für ihn war es das Glück, das höchste Glück, das den Menschen Antrieb. Doch was ist Glück? Definiere mir Glück. Mit dem glücklich sein ist es so eine Sache. Ich persönlich definiere für mich Glück, als die Abwesenheit von Unglück. Doch das ist reine Ansichtssache.

    Egal wie auch immer, Glück, das höchste Glück, endet zur guter Letzt im guten Gefühl. und Unglück (die Mehrheit betreffend) im unguten Gefühl. Was ein gutes oder ungutes Gefühl ist, braucht man niemandem zu erklären. Kein Wunder, denn es ist sozusagen genetisches Basiswissen . Was das gute Gefühl nun ausmacht, wie es kommt, wie man es findet und erhält, das ist eine rein individuelle Angelegenheit.

    Von daher trifft es auch zu, das Menschen Unglück bewusst herbeiführen, weil das schwer zu definierende Unglück für sie letztendlich mit einem guten Gefühl verbunden ist und sei es auch nur als Posten in einer sumarischen Gefühlsabwägung.

    Und was die absolute Selbstlosigkeit angeht: Bist Du sicher, dass jemand aus freien Stücken etwas absolut selbstloses tun würde und dabei ein schlechtes, ungutes Gefühl hätte?
    Mutter Theresa, das Sinnbild schlechthin für Selbstlosigkeit, hatte bei ihrem Tun sicherlich per Saldo ein gutes Gefühl.

    Nein, die Vielschichtigkeit ist kein Beweis für oder gegen meine These:
    Den Menschen treibt nur das gute und das ungute Gefühl an.

    [Eigenwerbung gelöscht – Jasmin]

    schöne Grüße
    Toerner

  9. Ich muss gestehen, um nach über einem Jahr die Diskussion plötzlich wieder aufzunehmen fehlt mir bedauerlicherweise die Zeit. Aber zu dem Gesagten kann ich mich nur wiederholen:

    Ich zweifle nicht an, dass das Moment des guten und schlechten Gefühls existiert, und gleichsam kann man in einem rigorosem Reduktionismus scheinbar alles darauf zurückführen (und beansprucht damit natürlich die psychische Realität jedes Menschen zu kennen), aber dieser Reduktionismus blendet die Umstände warum etwas so und so empfunden wird vollständig aus: d.h. Sozialisation, Selbstreflexion etc. D.h. – um es existentialisitisch zu fassen – den Entwurf, den der Mensch von sich macht und den er verändern kann. Hier handelt er natürlich letztendlich auch nach gutem und ungutem Gefühl, aber wenn man den Reduktionismus streicht, so sieht man, dass zuvor sozialisierende Elemente auf den Menschen einwirken und u.U. die nicht rein emotionale Frage folgt: Was für ein Mensch will ich sein? Und sich erst hieran die Foki von gutem und schlechtem Gefühl anschließen.
    Es gäbe darüber hinaus noch viele Beispiele die ein konfligieren von ratio und emotio zeigen – und die Entscheidung ist nicht stets pro emotio.

    Man kann es anders sehen, ist ja auch recht en vogue bedenkt man die rational choice Theorie etc., aber es funktioniert nur, wenn man bereit ist den Menschen als Sklaven seiner Gefühle zu sehen. Als determiniertes, also unfreies Wesen.
    Natürlich kann man die Orientierung am guten/unguten Gefühl nicht wegreden, und das will ich auch gar nicht, aber es bleibt nur ein Handlungsmotiv – und das unterscheidet uns von der Kuh auf der Weide. Der Mensch als freies Wesen.

    Nunja, tempus fugit, belassen wir es bei den unterschiedlichen Menschenbildern. Faber est suae quisque fortunae.

  10. Hallo Chris,

    schön, dass Du Dich trotzdem noch einmal zu Wort gemeldet hast. Es wird wohl beim Blickwinkel bleiben und die unsrigen sind nicht deckungsgleich.

    Zudem macht es nur einen Sinn eine Theorie als abwegig zu betrachten, wenn man auch die Beweisführung kennt. Da der Link wegen Eigenwerbung (??? merkwürdig) gelöscht wurde, kann also auch kein Interessent mehr meine Beweisführung nachvollziehn.

    Jedenfalls geht daraus eindeutig hervor, dass je freier der Intelekt desto gefühlsbetonter wird er und damit meine These erfüllen. Kühe scheiden da also von vornherein schon aus und der Komplexität des menschlichen Wesens tut dies indes keinerlei Abbruch.

    schöne Grüße
    Toerner

  11. Hallo,

    ich nehme an das man deinen Link gelöscht hat, weil er nicht mehrfach auf der Seite stehen muss, weiter oben ist er ja zu finden.

    Wenn ein freier Intellekt nach deiner These gefühlbetonter wird, die Gefühle aber gleichzeitig Handlungsmotiv sind, dann wird er im gleichen Maße unfreier.
    Weil der Mensch sich in deiner These nicht auf einer voremotionalen Ebene reflektieren kann (denn da der Mensch immer handelt, sein Handlungsmotiv bei Dir in letzter Instantz immer fest steht, ist er immer determiniert durch sein Handlungsmotiv) ist er stets unfrei – seidern er kann sich auf einer voremotionalen Ebene reflektieren, aber mit diesem rationalen Argument sind wir bei meinen Gegenargumenten.

  12. Hi,
    Gefühle nur zu "blinden Antreibern" (Handlungsmotiv) zu machen, ist Reduktionismus, der sie dem Verstand gegenüber stellt und die Ratio eine Stufe über sie stellt. Gefühl ist ein grobschlächtiges Wort, da dies auch Empfindungen wie Hunger, Durst, Blasendrang,… beinhaltet, die lediglich Bedürfnisse anzeigen, nicht aber unsere Innenwelt erklären. Emotion wäre hier treffender und diese darf man nicht mit Stimmung verwechseln, weil Stimmung wiederum etwas ganz Anderes ist… Erst mal Begrifflichkeiten klären…
    Emotion (als Überbegriff) ist eine Wahrnehmungsebene. Emotionen hingegen beziehen sich immer auf etwas: sauer AUF, wütend ÜBER, verliebt IN,… Usw. … Will hier keine Abhandlung über Emotion runterrasseln. 😉 …
    Die Emotion wurde früher oft auf den Teilaskept ihrer Körperlichkeit reduziert, dabei hat Emotion auch rationale Aspekte. Hätte sie keine, könnte sich kein Konflikt zwischen Emotion und Ratio aufbauen, geschweige denn die Emotion die nüchterne, durch die Ratio getroffene Entscheidung zu einer vernünftige Entscheidung bringen. Oder umgekehrt…Usw.
    Somit ist sie meines Erachtens auch – entgegen Kants Annahme – Teil der Struktur der Vernunft.
    "Definiere mir Glück!" Darin schwingt die Anschauung mit, dass es eine Art Grundemotionen gibt. Sehe ich anders. Meines Erachtens gibt es höchstens Grundbereiche Hasse, Liebe,… etc., in denen sich Emotionen entfalten.
    Denn: Liebt man beispielsweise zwei Menschen, können das zwei völlig unterschiedliche Emotionen sein, die sich dennoch in denselben Bereich von Emotion entfalten. ….
    Ein freier Intellekt ? Kommt drauf an, was man mit frei meint? Entscheidungsfrei? Der Intellekt ist erstens: nicht frei von uns, unseren Ansichten, Einschätzungen,… Er erfährt die Grenzen des Menschseins.
    Die "seelische, geistige Programmierung" des Individuums, aufgrund von Erfahrung, Persönlichkeit, …. schränkt ihn ebenso ein. Der menschliche Intellekt ist höchstens insofern frei, dass wir einmal Gedanken denken werden, die wir heutzutage noch nicht ahnen können. "Schein – Unendlichkeit".
    Aber ich schweife ab. Glück kann also nicht für jedes Individuum bestimmt werden, zumindest wenn man sich meiner Theorie anschließt, höchstens der Glücksbereich.
    Ich werde mal mit mir herum philosophieren, was die Empfindung von Glück ist und ob es sich dabei wirklich nur um eine Emotion handelt…
    So, das war erst mal mein Senf dazu.

  13. Ach, Chris, und: ja, positive, negative Gefühle ist derselbe Reduktionsmus wie schwarz – weiß – Denken. Wenn dem so wäre, dass alle nach positiven Gefühlen strebten, hätten viele Menschen keine destruktiven Beziehungen zu anderen Menschen. Keine Kriege, Morde,… Die These widerspricht der Praxis und ist somit als falsch entlarvt.
    Schöne Grüße,
    Britta

  14. Hallo Britta,
    ich habe gerade keine Zeit, aber vielleicht ganz ganz kurz: Möglicherweise wird verschlungen etwas daraus: Was Person X ein positives Gefühl bereitet, kann für Person Z negativ sein, weil Person Z durch die Handlung, die Person X ausführt, um sein positives Gefühl zu erlangen, geschädigt wird.
    Insofern würden alle Menschen schon nach positiven Gefühlen streben, aber wir würden nicht alle davon gutheißen. Will meinen: Es wäre subjektiv, wie im obigem Artikel bei jenem, der Unglück erstrebt, es nicht tut, weil er Unglück erstreben will, sondern weil er im Unglück sein Glück sieht.
    Insofern wäre dies alles von hoher Subjektivität geprägt, das sah auch bereits Aristoteles, der versuchte das unterschiedliche Streben grob in den "drei Lebensformen" systematisch zu erfassen – gleichwohl, Glückseligkeit gibt es bei Aristoteles nicht auf allen Pfaden, die uns glücklich zu machen scheinen – dies aber nur der Vollständigkeit halber. 🙂

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