Was soll ich tun?

Immanuel Kant und die Imperative

In der Diskussion, was zu tun ist, wie Ethik und Moral beschaffen sind und wie man das Gute bestimmen kann, setzte Immanuel Kant einen Meilenstein, der sie auch heute noch stark beeinflusst.
Sein berühmter kategorischer Imperativ „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz würde.“ (Kant, S. 68) ist den Meisten schon einmal begegnet, doch so bedeutend das Wirken Kants ist, so unverständlich bleibt es zumeist.
Was also bedeutet dieser unhandliche Satz, der zum guten Handeln anleiten soll?

Kant beginnt seine Herleitung damit, das Gute von den Eigenschaften des Geistes und des Temperaments zu trennen, denn auch Verstand, Urteilskraft, Mut und Beharrlichkeit können wie Macht und Reichtum zum Guten wie zum Schlechten eingesetzt werden.
Das einzige wahrhaft Gute im Menschen, so Kant, ist der gute Wille.
Da der Mensch jedoch nicht nur aus gutem Willen besteht, sondern allzu oft vom Sinnlichen bestimmt wird, existiert das Gute im menschlichen Wesen nicht an sich, sondern als ein Sollen – als die grundsätzliche Fähigkeit zum pflichtgemäßen Handeln. Der Schlüssel zur Pflicht ist, so sonderbar es zunächst auch klingen mag, die Freiheit, die Autonomie: Ein Mensch kann sich dazu entscheiden, das größte Opfer zu bringen, um der Pflicht zu genügen – beispielsweise sein Leben geben, um einen Unschuldigen zu schützen. Der Möglichkeit nach ist diese Fähigkeit nicht zu widerlegen.

Zum guten Willen braucht es Vernunft, denn nur vernunftbegabte Geschöpfe können sich eine Vorstellung, eine Maxime, von den ewigen Gesetzen bilden; zum konkreten Handeln braucht es Erfahrung und Urteilskraft.
Kant reduziert im Vertrauen auf diese menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften die uralte Frage, was zu tun ist, auf drei Arten von Imperativen, die alle Lebensbereiche abdecken sollen:

Technische Imperative geben uns erfahrungsgestützt Anleitung bei konkreten Zwecken: Wenn ich X will, dann muss ich Y tun.

Pragmatische Imperative leiten uns in unserem natürlichen Streben nach Glück: Um glücklich zu sein, muss ich Y tun.

Da sie Erfahrung und Urteil voraussetzen sind diese beiden Arten von hypothetischen Imperativen nicht universell und können unterschiedlich beantwortet werden – es gab, gibt und wird immer die verschiedensten Ausformungen von ihnen geben;
Ewig und universell ist für Kant nur der kategorische Imperativ, der dazu anleitet, pflichtgemäß zu handeln, denn er verlangt einzig den Einsatz der Vernunft: Wenn ich (ohne einen bestimmten Zweck vorauszusetzen) wollen kann, dass alle handeln wie ich, dann handle ich gemäß der ewigen Gesetze des moralisch Guten.
Auf dieser höchsten Stufe des vernunftgeleiteten Handelns unterschiedet Kant noch einmal zwischen Moralität und Legalität:
Moralisch handelt nur der, der die Pflicht um ihrer selbst Willen erfüllt –
wer andere Beweggründe hat, handelt immerhin pflichtgemäß.

Höffe, Otfried: Kleine Geschichte der Philosophie. München: Beck, 2001
Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Stuttgart: Reclam, 2002

5 Antworten auf „Was soll ich tun?“

  1. "Gerne dien‘ ich den Freunden, doch tu‘ ich es leider mit Neigung…" Mir leuchtet ein, dass ich nichts wollen kann, ohne dass dieses Wollen irgendwie bedingt ist. Dass ich sowas tatsächlich frei initiiere (eine Bedingtheit) leuchtet mir aber nicht ein. Ein unbedingter Wille ist Schwachsinn. Aber was kann ich für die Möglichkeiten, die ich habe zu handeln oder die ich eben nicht habe? Ich krieg‘ die "Freiheit" daran nicht zu fassen…

  2. Die Freiheit besteht darin, dass ich mich von meinen sinnlichen Antrieben, etwa dem, in jedem Naturwesen tief verwurzelten Wunsch zu überleben, frei machen kann, indem ich der Pflicht eine höhere Prorität zuschreibe:
    Höffe zitiert das Beispiel eines Menschen, der unter Androhung seines Todes eine falsche Aussage gegen einen Unschuldigen machen soll, die diesen das Leben kosten würde – er kann sich dafür entscheiden, sein Leben zu opfern, um das richtige zu tun. Somit ist er in der Lage, sich vermöge der Vernunft gegen den vielleicht basalsten natürlichen Trieb durchzusetzen.
    Das ist Freiheit von der Natur – Freiheit zur Pflicht.

  3. …aber eine Entscheidung, die sich gegen etwas entscheidet, was dem Menschen gemeinhin als grundelegender ("Leben") unterstellt wird als etwas anderes("sterben"), ist doch nicht gleichbedeutend mit "frei"? Die Inhalte sind doch Variablen? Das Beispiel stellt im Gegenteil doch eher eine Erpressung dar? Und sind solche "vernünftigen Überlegungen" nicht Teil der Natur des Menschen, der sie anstellt? Also in Einklang mit dieser statt ihr Gegensatz?

    Dass eine Handlung innerhalb eines Kausalzusammenhangs steht, kann man das verneinen? Selbst wenn sie keine Ursachen hätte, wäre sie ja dann vielleicht auch gar keine Handlung mehr, sondern Zufall? Und worin kann d a n n noch Handlungsfreiheit bestehen? Ist es einfach die Tatsache, dass die Ursachen unbekannt sind und so vielfältig und zahlreich, dass sie immer komplett andere Möglichkeiten erzeugen, so dass "Freiheit" nur ein Wort ist für eine unbekannte, einzigartige Konstellation von Umständen? Naja, das führt wahrscheinlich wieder zu weit? Und ich verzettel‘ mich schon wieder :o)

    Gruß, Lotte

  4. Ich denke, dass die Freiheit in diesem Sinne darin besteht, dass der Mensch eben nicht nur Naturwesen ( also eine biologische Einheit, ein Tier) ist, sondern zugleich Geistwesen.
    Als Naturwesen ist er am Forbestand seiner selbst und seiner Art interessiert – wird also vor allem anderen seine physische Existenz verteidigen.
    Das Geistwesen Mensch ist prinzipiell in der Lage Gesetze und Maximen aufzustellen oder zu übernehmen, die als bedeutender angenommen werden können als seine individuelle Existenz.
    Der Mensch kann sich also grundsätzlich von seiner Verfasstheit als Naturwesen frei machen – was Kant mit der Begabung zur Vernunft begründet.
    Die "Natur des Menschen" würde, wenn man dieser Überlegung so weit folgt, darin bestehen, dass er beides ist: Natur- und Geistwesen, also nicht nur von seinen Trieben & Instinkten zum Handeln motiviert wird, sondern sich (auch gegen diese) selbst motivieren kann.

    Eine Handlung geht m. E. von einem darauf gerichteten Willen aus. Eine physische oder instinktive Reaktion ist keine Handlung.
    Handeln setzt Bewusstsein voraus – und die Möglichkeit, sich für oder gegen die Handlung zu entscheiden…
    Inwiefern und in welchem Maße wir allerdings in der Lage sind, frei zu entscheiden was wir tun, ist eine ungeklärte Frage: Wie stark sind die Biologie, unsere Sozialisation und unser Unbewusstes an unseren scheinbar "freien" Handlungen beiteligt?
    Wie frei ist der Wille, der unsere Handlungen bestimmt?
    Fragen, an welchen klügere Köpfe als meiner zerbrochen wurden und über welche auch heute noch fleißig geforscht und diskutiert wird…

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