Das Ende wird kommen

Untergangspropheten gab es schon immer und immer gab es gute Gründe an das unabwendbare Ende der Welt zu glauben. Aus heutiger Sicht scheint es naiv, etwa eine Sonnenfinsternis, Seuchen oder Erdbeben als sicheres Indiz dafür zu werten, weil wir in einer aufgeklärten Welt leben, die derartige Phänomene erklären kann und ihnen damit den Schrecken genommen hat. Wir fürchten den Zorn der Götter nicht mehr, weil sie von Tektonik, moderner Medizin und Astronomie in den Raum des persönlichen Empfindens verdrängt wurden. Die Zeiten, in welchen ein rachsüchtiger Gott ein ganzes ägyptisches Heer im Meer ertränkt und sein auserwähltes Volk vierzig Jahre in der Wüste ausharren muss, weil sein Glaube nicht stark genug war, sind wohl endgültig vorbei.
Aber ist damit auch ein Ende der universellen Angst eingetreten?
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Das ethische Dilemma der Sterbehilfe

Eines der zentralen Themen der ethischen Debatten der letzten Jahre war das Problem der Sterbehilfe. Die Debatte fand und findet nicht nur in der Philosophie statt, sondern findet ebenfalls Beachtung im politischen und gesellschaftlichem Raum.
Das ethische Problem der Sterbehilfe ist dabei keines, was man zuvorderst einer bestimmten Ethik anrechnen sollte, sondern es entsteht gerade dort, wo unterschiedliche ethische Strömungen aufeinander treffen. Das ethische Problem ist demnach kein Problem einer einzelnen Ethik, sondern der Vielzahl der Ethiken geschuldet.
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Zwei Menschen lieben einander.
Welches Bild werden wir mit diesem Umstand assoziieren?
Eine Frau und ein Mann, zwei Frauen, zwei Männer – gleichviel. Sie heiraten oder heiraten nicht, sie gründen einen gemeinsamen Haushalt oder verbleiben in zweien. Sie bekommen (durch Schwangerschaft oder Adoption) ein Kind, zwei, drei oder keins. Sie bilden auf die eine oder andere Weise eine Lebensbewältigungsgemeinschaft und leben glücklich in eine Zukunft hinein, die für unsere Zwecke belanglos ist.
Jeder wird entsprechend seiner Neigung eine Vorstellung nach dem obigen Muster haben und die Meisten leben in der Hoffnung auf die Möglichkeit, diese Vorstellung Wirklichkeit werden zu lassen, nach Möglichkeit für immer.

Warum?
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Rituale

In seinem Roman Rituale schildert Cees Nooteboom die Welt und Sichtweise von Inni Wintrop. Dieser Mann treibt nach einem glücklosen Selbstmordversuch mit einer distanzierten Neugier durch das Amsterdam der sechziger und siebziger Jahre und beobachtet die Rituale der Menschen.
Zuletzt langt er bei der Überzeugung an, „[d]as Universum [käme] recht gut ohne die Welt aus“(1), die Welt ohne Menschen wohl eher besser als schlechter, und die Menschheit problemlos ohne ihn selbst. Vor dem Hintergrund dieser Einstellung zur Welt empfindet er eine Art von Freude am offensichtlichen Niedergang um ihn herum, am politischen, ökonomischen und ökologischen Kollaps; er sieht die Welt in Flammen stehen und erfreut sich an der Schönheit des Funkenfluges in der Nacht kosmischer Bedeutungslosigkeit.
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Um es gleich vorwegzuschicken, die Überschrift ist ein Epigramm aus der Feder Erich Kästners mit dem Titel Moral. (1) Die Aussage lässt aufhorchen und wenngleich eine Unzahl an Einwänden gegen die Aussparung des Denkens in seinem Epigramm möglich sind, so bleibt doch der Kern seiner Aussage davon unberührt.
Wohl so ziemlich jeder wird einräumen, dass ihm arme und hilfsbedürftige Menschen in nahen und fernen Ländern Leid tuen, dass er wünschen würde, die Welt wäre ein besserer Ort, als sie ist. Es lohnt sich, die Frage danach zu stellen, wie aufrichtig derartige Äußerungen sind.
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Eine Rebellion gegen die Vernunft?

In seiner Erzählung „The Imp of the Perverse“ (etwa: Der Kobold des Abnormen) schildert Edgar Allan Poe einen Impuls, eine Neigung, das Falsche zu tun, weil es das Falsche ist. Dieser Drang, den Poe the perverse nennt, entbehrt nicht nur jeder sinnhaften Grundlage, er ist allen Selbsterhaltungstrieben und den Wunsch nach Glück und Wohlergehen diametral entgegengesetzt.
Poe nennt einige Beispiele, um das Auftreten dieses Impulses, etwa den unwiderstehlichen Drang eines Redners, seine Zuhörer durch sein Ausschweifen wissentlich zu langweilen oder eine dringende Aufgabe aufzuschieben, einen wichtigen Termin verstreichen zu lassen – und fasst es zusammen in dem unwiderstehlichen Wunsch, sich in einen Abgrund zu stürzen, an dessen Rand man steht.

Den meisten wird dieses Verhalten mehr oder minder vertraut vorkommen, aber wie erklärt man ein Phänomen, das keinerlei Sinn aufweist, das jeder Vernunft entbehrt und sich nicht als Aufbegehren gegen eine äußere Moral begreifen lässt, sondern sich direkt gegen den eigenen Selbsterhaltungstrieb richtet?
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Eine Evolution des Denkens?

Über den Sinn und Nutzen der Philosophie wurde hier schon auf verschiedene Weisen diskutiert: Mal ging es um den Gewinn des Einzelnen, mal um den Nutzen für die Gemeinschaft. In beiden Fällen gab und gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen. Letztlich werden die meisten Teilnehmer an Dunkelraum es für förderlich und gut halten, einer Gesellschaft anzugehören, deren lange philosophische Tradition noch heute präsent ist.
Auch werden wohl viele, die freiwillig oder unfreiwillig ins Philosophieren geraten sind, daraus etwas ziehen, das sie fortfahren lässt, sich mit dergleichen zu beschäftigen. Aber kann man von einem Fortschritt, einem Vorankommen im Denken sprechen?
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Das Geschenk der Freiheit

Nicht nur die Philosophie, sondern auch die Religionen müssen sich mit dem Problem der menschlichen Freiheit auseinandersetzen. Den Grund hierfür mag man als empirische Notwendigkeit ansehen: Wenn der Mensch von einem guten Gott geschaffen wurde – warum ist er dann nicht nur zum Guten sondern auch zum Bösen fähig, wie es offenbar der Fall ist? Wie kommt es, dass die Geschöpfe Gottes sich gegen ihn wenden können?
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Vergesst die Wurzeln nicht!

In mannigfaltigen Zusammenhängen wird oft vom sogenannten christlichen Abendland gesprochen, wenn auf die Kultur und die Tradition dieser Region der Welt referiert wird. Eine derartige Referenz schneidet allerdings die Antike mit all‘ ihren Denkern, Erkenntnissen und Arbeiten, die der Bildung des christlichen Abendlandes vorausgingen, vollkommen ab.
Nicht zuletzt die Epoche der Antike hat vieles geleistet, was heute nicht mehr als solches wahrgenommen wird. Die Referenz auf die Antike ist schlicht verschwunden und die Dinge erscheinen als eine alltägliche Selbstverständlichkeit. So bemerkte Martin Heidegger in seiner Vorlesung über den platonischen Dialog Sophistes, dass wir diese Vergangenheit sind, und das nicht nur insofern, als dass man die griechische Tradition pflegt, indem man sich den alten und großen Problemen der Philosophie hingibt, sondern besonders dadurch, dass unser Alltag mit allen diesen Dingen durchdrungen ist, auch wenn wir diese oftmals nicht mehr wahrnehmen. (1)
Womöglich liegt der Grund dafür, dass auf dunkelraum.de oftmals Themen aus der Philosophie der Antike aufgegriffen werden, auch gerade darin, ein Bewusstsein dafür zu wecken, welcher Reichtum dort zu finden ist, womöglich auch aus dem Grund, dass ein philosophisches Problem wohl niemals wirklich verstanden wird, wenn man nicht seine Wurzeln kennt, aber auch, um vor aller Überheblichkeit zu warnen, die wohl jeder Epoche der Menschheit inne ist, nämlich sich selbst auf sämtlichen Gebieten für die aufgeklärteste und fortschrittlichste zu halten.

Wir können aus der Philosophie der Antike vieles lernen.

(1) Heidegger, Martin: Platon: Sophistes. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1992. (= Gesamtausgabe, II. Abteilung. Vorlesungen 1919-1944, Bd. 19). S. 10

So vieles ist verloren!

Es ist alles andere als ein Geheimnis, dass es um die Überlieferungslage der Philosophie der Antike nicht zum Besten bestellt ist. Selten erfuhr ein Gesamtwerk, wie das des Platon, eine so intensive Pflege. Richten wir unseren Blick beispielsweise auf das Gesamtwerk des Aristoteles, so bietet sich ein erschreckendes Bild von großem Verlust. Während man durch den Umstand, dass in den heutigen Bücherregalen viele Werke des Aristoteles zu finden sind, geneigt sein kann anzunehmen, dass sein Gesamtwerk recht gut erhalten ist, so lehrt ein Blick in das aristotelische Werkregister von Diogenes Laertius (DL V 22-26), dass vom Schaffen des Aristoteles lediglich ein Viertel überdauert hat. Richten wir unser Augenmerk auf Epikur, ist das Bild noch verstörender, von seinem umfangreichen Werk sind heute lediglich noch drei Briefe neben vereinzelten Lehrsätzen und Fragmenten erhalten. Von den Vorsokratikern muss erst gar nicht gesprochen werden.
Diese Liste könnte mühelos weitergeführt werden, aber die obigen Philosophen sind Paradigma für den großen Verlust genug. Ob man hoffen darf, dass einzelne Schriften wieder auftauchen, wie eine Zitatsammlung (Gnomologium Vaticanum Epicureum) von Epikur und seinen Schülern, die überraschend 1888 in einem vatikanischen Kodex gefunden wurde, ist fraglich.

Der Verlust der Bibliothek von Alexandria mit allen ihren Schätzen ist doch nur einer von vielen, wenngleich es sich hierbei um einen besonders großen handelt. Es ist nicht auszudenken, an welchem Punkt wir uns heute ideengeschichtlich befinden würden, wäre mehr erhalten geblieben, und welcher Wissensschatz uns durch einzelne Schriften zuteil geworden wäre. Und so bleibt nur zu hoffen, dass viele der Dinge, die auf ewig verloren und vergessen sind, heute von anderen neu gedacht werden, auch wenn es sich dabei dann nicht mehr um einen originären Aristoteles oder Epikur handelt.