Was ist Wahrheit?

Was ist Wahrheit und wie lässt sie sich erkennen? Wie verschlingt sie sich in dem unlösbaren Gewirr von Theorie und Praxis, die beide dialektisch auf einander bezogene Gegensätze und einander konstituierende Voraussetzungen sind? Wenn Theorie Reflexion ist, so bleibt jede Praxis blind und hilflos ohne sie. Aber woher nimmt die Reflexion, nimmt das Denken überhaupt seine Begriffe, wenn nicht aus dem Leben? Das Denken beginnt nicht erst in der Berührung mit der Wissenschaft.
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Was ist der Mensch?

Die Frage, was der Mensch sei, ist wohl eins der zentralsten Probleme, welche die Philosophie kennt – und das nicht etwa, weil es einfach ein herrlich umfassendes und schwer zu greifendes Thema ist, sondern weil die jeweilige Antwort zu allen Zeiten höchsten Einfluss auf Individuen und Gesellschaften hatte und nach wie vor hat.

In der christlichen Vorstellung ist der Mensch das Ebenbild Gottes und so kommt ihm in der Welt eine Sonderstellung zu – er wurde geschaffen, um über die Erde und alle anderen Wesen zu herrschen. Daraus erwächst ein gewaltiges Selbstbewusstsein der Spezies als Ganzes, eine metaphysische Legitimation der Kolonisierung und Ausbeutung der Erde, sowie der Unterwerfung des Tierreichs mit den bekannten – und, wie wir heute wissen, katastrophalen – Folgen.

Als Charles Darwin 1859 »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl« veröffentlichte, vollzog sich damit das, was heute als biologische Kränkung bezeichnet wird: Seine, in diesem Werk vorgestellte Evolutionstheorie stellte die Sonderstellung des Menschen, wie sie im christlichen Weltbild selbstverständlich war, in Frage: Nachdem Kopernikus bereits festgestellt hatte, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Kosmos‘ ist (Was heute als kosmologische Kränkung bekannt ist) stellte sich nun der Mensch plötzlich nicht als etwas unvergleichliches und besonderes dar, sondern lediglich als ein hochentwickeltes Tier.
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„Du willst leben? Kannst Du das denn?“ (1)

Die Frage Senecas erscheint fast widersinnig. Das Leben ist allgegenwärtig, ein ewiges Wuchern und Blühen um uns herum, während wir Sauerstoff in unsere Lungen schaffen, das Blut in unserem Körper zirkuliert und wir freudig bekennen können, dass wir leben.
Doch Seneca hat nicht den biologischen Akt des Lebens im Blick, mehr gehört für ihn dazu, als umherwandeln zu können. Und seine eindringliche Frage dringt tief, wenn wir unser Leben betrachten. Verstehen wir tatsächlich es zu leben?
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Bist Du ein wahrer Philosoph?

Platon schreibt in seinem siebten Brief, den er an die Freunde Dions richtet, von seinen drei Reisen nach Sizilien. Er berichtet vom Enstehen seiner Freundschaft zu Dion, von Dions Hoffnungen den Tyrannen von Sizilien, Dionysios I, für die Philosophie zu gewinnen, was Anlass der zweiten Reise Platons nach Sizilien war. Nachdem dies fehlschlug entschloss sich Platon, der bereits in hohem Alter war, unter vielen Bitten zu einer dritten Reise nach Sizilien, um das, was bei Dionysios I fehlschlug, bei dessen inzwischen regierenden Sohn, Dionysios II, erneut zu versuchen.
Obwohl davon gekündet wurde, Dionysios II sei sehr belesen und interessiert an der Philosophie, war Platons dritte und letzten Reise von einem äußerst negativen Verlauf gekennzeichnet, in deren Folge er von Dionysios nicht mehr in seine Heimat entlassen wurde und es viel Aufwandes bedurfte, sich aus den Banden des Tyrannen zu befreien und Sizilien wieder zu verlassen. Es ist auf eben dieser dritten Reise, auf der Platon eine Probe ersinnt, den wahren vom scheinbaren Philosophen zu scheiden.
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Nach was sollen wir streben?

Die Menschen verfallen im Laufe des Lebens auf etwas, dass sie für ein Gut halten, nach dem es sich zu streben lohnt. Aber ist dieses Gut wirklich gut für den Menschen? Die Antwort des pyrrhonischen Skeptikers ist eindeutig: Sofern ein Mensch etwas für ein Gut hält, wird dieses vermeintliche Gut ein ewiger Quell der Beunruhigung für den Menschen sein. Hat er es nicht, muss er ihm hinterherjagen, hat er es aber erreicht, so kehrt keine innere Ruhe ein, sondern es kommt die Furcht vor dem Verlust des vermeintlichen Gutes auf. Das erstrebte Gut ist folglich kein Gut, sondern schädlich, da es anstatt Ruhe nichts als Beunruhigung in das Leben bringt.
Man kann dies am Beispiel des Geldes einfach veranschaulichen: Hält jemand Geld für ein Gut, nach dem es sich zu streben lohnt, so wird er nicht glücklich werden können, solange er das Gut nicht besitzt; hat er es aber erlangt, so stellt sich keine Ruhe ein, sondern die Sorge vor dem Verlust des Geldes, vor dem Zurückfallen in die Armut, dominiert das Denken. Der Reichtum muss geschützt, verwaltet und bewahrt werden.
Man täte also in den Augen des Skeptikers gut daran, nichts fälschlicherweise als ein Gut zu setzen. Dann bliebe einem so einige Beunruhigung im Leben erspart.

Sextus Empiricus: Grundriss der pyrrhonischen Skepsis. I, 27

Die Idee der Vollautomatisierung in der Antike

Schon seit geraumer Zeit wird unsere industrielle Entwicklung oftmals mit der Tendenz zur Vollautomatisierung beschrieben. Tatsächlich werden immer mehr Produkte von immer weniger menschlichen Händen hergestellt. Einzelne Arbeitsschritte bishin zu einem vollständigen Produktionszyklus werden an Maschinen ausgelagert, die den eigentlich herstellenden Menschen überflüssig machen. Die einzigen, die übrig bleiben, sind jene, die die Maschinen entwickeln und instand halten. Diese Berufe tauchen keineswegs unvermittelt in der Moderne auf, seit der Mensch Maschinen benutzt, wie beispielsweise einen Webstuhl, gibt es sie. Die Aufgaben wurden also keineswegs in der Moderne vom Herstellen zum Entwicklen und Erhalten umgeschichtet, sondern die Herstellenden verschwanden einfach aus dem Produktionszyklus, da sie überflüssig geworden waren.
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Der Selbstmord bei Aristoteles

Aristoteles sieht den Selbstmord durch das Gesetz der Polis (dt. Stadtstaat) verboten. Tatsächlich gab es zu der Zeit Aristoteles kein Gesetz, dass den Selbstmord unter Strafe stellte, jedoch leitet er das Verbot daraus ab, dass das, was die Gesetze nicht gebieten, automatisch verboten ist.
Aristoteles sieht jedoch, trotz des impliziten gesetzlichen Verbots des Selbstmordes, die konkurrierenden Interessen zwischen dem Selbstmörder und der Polis. Ein Selbstmörder, so Aristoteles, tut sich kein Unrecht an, denn er lässt sich den Selbstmord freiwillig angedeihen. Niemand würde sich jedoch freiwillig selbst ein Unrecht antun. Der Selbstmörder handelt also aus seiner eigenen Perspektive mit Recht, da der Selbstmord in seinem eigenen Interesse liegt. Aus der Perspektive der Polis, die unter anderem an ihrem Fortbestand interessiert ist, muss der Selbstmord als Unrecht erscheinen, da er den Interessen der Polis hinderlich ist. Aristoteles nennt auch die Strafe für den Selbstmord: Ehrverlust. (1)
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Der Skandal der Philosophie

Immanuel Kant prägte den Ausdruck vom „Skandal der Philosophie“ in einer seiner Fußnoten in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“: „so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns […] bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können.“ (1). Tatsächlich scheint der Bezweifelung der Außenwelt, wie man sie quer durch die gesamte Philosophiegeschichte findet, wenig entgegenzustellen zu sein, denn dieser Zweifel ist von so fundamentaler Art, dass die Entgegnungen immer aus dem Bezweifelten selbst hervorgehen müssen und damit schlicht wenig überzeugend sind.
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Ist die Philosophie des Mittelalters Philosophie?

Die Frage, inwiefern man im Rückblick in das Mittelalter, die Schriften, die seinerzeit als Philosophie bezeichnet wurden, auch heute als Philosophie anerkennen kann, ist alles andere als trivial.
Die Philosophie des Mittelalters mit ihren Vertretern wie Justin, Clemens von Alexandrien, Augustinus, Boethius, Thomas von Aquin und vielen anderen ist maßgeblich am christlichen Glauben orientiert und unterscheidet sich damit fundamental sowohl von der Philosophie der Antike, wie auch von der späteren Philosophie der Moderne. Denn in diesen Strömungen wurde und wird Erkenntnis nicht durch Glauben, sondern, vereinfacht gesprochen, durch strenge Analyse, errungen. Natürlich wäre es verkürzt zu sagen, die Philosophen des Mittelalters hätten sich nicht auch den philosophischen Arbeitsmethoden der Antike bedient, aber über allem schwebte die Kraft des Glaubens und die Macht Gottes.
Würden heute entsprechende Schriften verfasst werden, würde man sie wohl eher dem Bereich der Theologie zurechnen als der Philosophie (1), da sie dem modernen Anspruch an eine philosophische Schrift zu großen Teilen oft nicht gerecht werden. Jedoch haben jene Philosophen ihre Schriften nicht in der heutigen Zeit verfasst, sondern im Mittelalter und Heinzmann bemerkt, dass man nicht den Fehler machen sollte, mit einem heutigen Philosophieverständnis über jene Zeit zu urteilen, sondern für ein Urteil das damalige Philosophieverständnis heranziehen sollte. Hinzu arbeitet er die Errungenschaften christlicher Philosophie des Mittelalters heraus, wie beispielsweise die Individualisierung, und ihre Bedeutung für die Philosophie der Moderne, die in dieser Art niemals ohne die Philosophie des Mittelalters möglich gewesen wäre. (2)
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Bertrand Russel schreibt in seinem Essay „Die tieferen Beweggründe der Philosophie“, dass einer der notwendigen Charakterzüge für eine philosophische Veranlagung ist, dass man den Wunsch hegt, „an irgendeine allgemeine Theorie des Universums oder des menschlichen Lebens zu glauben.“ (1).
Bei derartigen allgemeinen Behauptungen regt sich selbstverständlich immer die Frage, inwieweit sie Gültigkeit besitzen können. Selbstverständlich kann Philosophie als eine Wissenschaft begriffen werden, die genau nach dieser allgemeinen Theorie sucht. Aber wäre es so unvorstellbar, dass ein Student genau aus dem entgegengesetzten Grund das Studium der Philosophie aufnimmt, nämlich um zu beweisen, dass es keine allgemeine Theorie geben kann? Oder könnte man in diesem Fall spitzfindig behaupten, die allgemeine Theorie wäre, dass es keine allgemeine Theorie gäbe?
Wie dem auch sei, man sollte wohl nicht vergessen, dass Russel hier nur ein Essay niederschrieb, das sicherlich einen ganz anderen Wahrheitsanspruch, als eine wissenschaftliche Abhandlung inne hat. Dennoch, der Versuch der Motivation der Menschen zur Philosophie nachzuspüren und diese auszuforschen ist überaus interessant.
Natürlich kann man geneigt sein anzunehmen, dass einige Wissen um des Wissens willen suchen, und sich darin bereits ihr persönlicher Zweck der Philosophie ausfüllt, doch andere werden anderes suchen und ihre Motivation nicht im Wissen als Selbstzweck auffinden können.

(1) Russel, Bertrand: Die tieferen Beweggründe der Philosophie. In: Russel, Bertrand: Unpopuläre Betrachtungen. Zürich: Europa Verlag, 2005. S. 52