Du sollst nicht töten, außer…

Ein Gesetz, so alt wie die Menschheit: Du sollst nicht töten. Für das christlich geprägte Abendland buchstäblich in Stein gehauen als eins der Zehn Gebote des Alten Testaments (2. Mose 20, 13). Fast alle Kulturkreise kennen dieses Tabu – und doch gilt es nirgends absolut, ist es überall und zu allen Zeiten von Einschränkungen begleitet: Du sollst nicht töten, außer…

Bleiben wir vorerst bei der für uns wahrscheinlich bedeutendsten Quelle für das Tötungsverbot, der Bibel, ist es zumindest im Alten Testament nicht schwer, Einschränkungen zu finden: Es gibt dort zahlreiche Vergehen, die mit dem Tod bestraft werden sollten. Die meisten erscheinen uns heute absurd, aber auf schwere Verbrechen wie etwa Mord folgt noch heute in über einhundert Ländern die Todesstrafe. Schützt also das Tötungsverbot nur diejenigen Menschen, die sich selbst daran halten?
Durchaus nicht, denn es gibt einige Situationen, in welchen das Töten eines Menschen zumindest rechtlich ohne Folgen bleibt: In Extremsituationen kann Töten als Selbstverteidigung gelten, wenn glaubhaft ist, dass man nur so das eigene Leben schützen konnte. Auch gehört es zum Beruf des Soldaten, unter Umständen andere Menschen zu töten. Dennoch stehen Soldaten nicht außerhalb der Gesellschaft und die Geschichte zeigt, dass Kulturen, die ein Tötungsverbot kannten und kennen, deshalb nicht um jeden Preis Kriege zu vermeiden suchen.
Du sollst nicht töten heißt in der Praxis unseres und der vergangenen Jahrhunderte also eher: Du sollst nicht töten, wenn du keinen guten Grund dazu hast. Natürlich bleiben Gebot und Gesetz damit für die allermeisten Menschen bestehen, aber wirklich absolut ist es damit nicht mehr – es gibt Ausnahmen, die stark vom jeweiligen Zeitgeist abhängen: So reichte es oft schon, der »falschen« Ethnie, Nationalität oder Religion anzugehören, um nicht mehr durch das Tötungsverbot geschützt werden.

Unausgesprochen gilt zudem eine Einschränkung, die manchem vielleicht erst jetzt auffällt: Du sollst keine Menschen töten. Für andere Lebewesen gilt das Tötungsverbot nicht. Für Nahrung und Kleidung, als Opfertiere oder schlicht zum Zeitvertreib wurden und werden Tiere ohne große Bedenken getötet. Juristisch strafbar ist dies erst (in manchen Ländern), wenn eine gesamte Spezies kurz vor der Ausrottung steht. Zwar gelten etwa nach dem deutschen Tierschutzgesetz Wirbeltiere nicht als bloße Objekte, aber von einem generellen Tötungsverbot kann in einem Land kaum die Rede sein, in dem im vergangenen Jahr über 63 Millionen Wirbeltiere (und ein Vielfaches an Vögeln wie Hühnern, Enten usw.) geschlachtet wurden.

Was bleibt nach dieser kurzen Überlegung übrig von einem ethischen Gebot, das zunächst so ewig und unumstößlich erscheint; Ist es mit den vielen Einschränkungen noch ein ernst zu nehmendes Gesetz oder eher eine Richtlinie, an der Einzelne und Gesellschaften sind nach Möglichkeit und der jeweiligen Situation orientieren soll(t)en?