Schopenhauer über die Rückschau

Wie der Wanderer erst, wann er auf einer Höhe angekommen ist, den zurückgelegten Weg mit allen seinen Wendungen und Krümmungen im Zusammenhange überblickt und erkennt; so erkennen wir erst am Ende einer Periode unseres Lebens oder gar des ganzen den wahren Zusammenhang unserer Taten, Leistungen und Werke, die genauen Konsequenzen und Verkettungen, ja auch den Wert derselben.

Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Kapitel 5. Par�nesen und Maximen – B. Unser Verhalten gegen uns selbst.

Ohne Aktualisierung der Rechtschreibung zitiert nach: von L�hneyen, Wolfgang (Hg.): Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Darmstadt: WBG, 2004. Bd VI, S. 494

Du sollst nicht töten, außer…

Ein Gesetz, so alt wie die Menschheit: Du sollst nicht töten. Für das christlich geprägte Abendland buchstäblich in Stein gehauen als eins der Zehn Gebote des Alten Testaments (2. Mose 20, 13). Fast alle Kulturkreise kennen dieses Tabu – und doch gilt es nirgends absolut, ist es überall und zu allen Zeiten von Einschränkungen begleitet: Du sollst nicht töten, außer…
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Der (Alp)Traum vom künstlichen Menschen

Seit Anfang des Monats läuft auf Arte die schwedische Serie »Real Humans«, die uns in eine Welt blicken lässt, die der unseren sehr ähnlich ist. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Die Bewohner dieser Welt haben die Möglichkeit, sich beim Fachhändler einen sogenannten »Hubot« zu kaufen, einen menschenähnlichen Roboter, der ihnen im Haushalt hilft, in ihrer Fabrik arbeitet oder kranke Verwandte pflegt.
Allein, die Illusion damit nur einen hochentwickeltes Automaten erworben zu haben wird schnell brüchig. Die Hubots müssen, um ihre vielfältige Aufgaben erfüllen zu können, eine Art von Intelligenz aufweisen, die bald zum Problem wird – und auch die Menschen, die täglich mit ihnen umgehen, kommen nicht umhin, sich danach zu Fragen was ein Hubot eigentlich ist: Ein bloßes Stück Technik oder ein Spiegel seines Schöpfers?

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Über abschließende Urteile

Gust Avrakotos: There‘s a little boy and on his 14th birthday he gets a horse… and everybody in the village says, »how wonderful. The boy got a horse.« And the Zen master says, »we‘ll see.« Two years later, the boy falls off the horse, breaks his leg, and everyone in the village says, »How terrible.« And the Zen master says, »We‘ll see.« Then, a war breaks out and all the young men have to go off and fight… except the boy can‘t ‘cause his leg‘s all messed up. And everybody in the village says, »How wonderful.«
Charlie Wilson: Now the Zen master says, »We‘ll see.«

Filmzitat aus: Nichols, Mike: Charly Wilson‘s War. 2007

Das Gewebe der Wirklichkeit – zu Wilhelm Schapps Geschichtenphilosophie

Was geht es uns an, das allumspannende Nichts, in das sich ein Universum ausbreitet, von dem wir kaum etwas wissen und das wir nie sehen werden? Was geht sie uns an, die Leere zwischen den Atomen, die unter dem Blick der Wissenschaftler in immer winzigere Teilchen zerfallen und deren Natur selbst sie nicht recht begreifen?
Trotzdem sind wir gewohnt, dies die Wirklichkeit zu nennen, hard facts der Welterkenntnis – Erkenntnisse über eine Welt, die wir nie zu Gesicht bekommen werden, die unerreichbar hoch über uns und in den subatomaren Tiefen von uns so wenig Notiz nimmt, wie wir von ihr. Eine Wirklichkeit, die wir nur von Computermodellen und Schnappschüssen in die Unendlichkeit gerichteter Teleskope kennen.
Nein, es geht hier nicht darum, das Streben nach dem Wissen darüber was die Welt im Innersten zusammenhält zu verspotten. Es geht um die Frage, was es ist, das wir Wirklichkeit nennen – und wo wir sie zu finden hoffen: An den äußeren Rändern unserer Erkenntnis oder im Zentrum unseres Erlebens?
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Ein ungeliebter Philosoph – René Descartes und die Meditationen

René Descartes‘ »Meditationen über die Grundlagen der Philosophie« gehören zu den philosophischen Schriften, die den Meisten schon in der Einführungsveranstaltung des Philosophiestudiums für immer verleidet werden.
Natürlich, man sollte schon einmal davon gehört haben, schließlich ist es ein gleichermaßen klassischer und wichtiger Text, kann mit einigem Recht als eine der »Gründungsakten der Neuzeit« bezeichnet werden und hat zudem den Vorteil, dass er einer klaren Argumentationslinie folgt und nicht allzu umfangreich ist. Das Problem besteht allerdings darin, dass den Meditationen ein ganz anderes Verständnis von Philosophie zugrunde liegt, als wir es heute haben, und die immense Bedeutung, die der Text für die abendländische Ideengeschichte hat, nicht mit seiner ursprünglichen Intention übereinstimmt.
Eingequetscht zwischen Platons Höhlengleichnis und Auszüge aus Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand fehlt im Proseminar aber oft die Zeit, tiefer in den Text einzutauchen und ihn im Kontext seiner Entstehung zu begreifen. So bleibt zumeist nicht viel mehr zurück als ein gewisser Widerwille (schließlich wird in den Meditationen Gott beweisen – gleich zweimal und doch nicht überzeugend) und eine vage Erinnerung, wie man sie vielleicht von einer Europe in 10 Days-Reise zurückbehält. Kein Wunder also, dass zum Stichwort Descartes Vielen nicht mehr als »cogito ergo sum« einfällt, was zudem auch noch irreführend, wenn nicht schlichtweg falsch ist.
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Die Sprache der Klugen

Gewalt, so ein bekanntes Sprichwort, ist die Sprache der Dummen.
Auch ohne langes Überlegen dürfte jeder in etwa wissen, was damit gemeint ist: Wer sich nicht oder nicht mehr auszudrücken weiß, wer keine andere Möglichkeit findet, seinem Ärger, seiner Frustration oder seiner Wut Ausdruck zu verleihen, mag zu diesem Mittel greifen, um zumindest für diesen Augenblick der Hilflosigkeit nicht auch noch wort- und tatenlos zu bleiben. Dumm nennen wir dieses Verhalten, weil es Ausdruck eines doppelten Unvermögens ist – des Unvermögens, sich dem Gegenüber verständlich zu machen und des Unvermögens, diese Frustration auszuhalten.
Wie aber sieht der Umkehrschluss aus – gibt es eine, womöglich besondere, Sprache der Klugen?
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Wie viel Ungleichheit ist noch gerecht?

Im Januar ging es in dem Dunkelraumartikel »Die Welt ist nicht gerecht…« um Gerechtigkeit, oder vielmehr unser Empfinden für und von Ungerechtigkeiten. Am vergangenen Sonntag gab es in der Schweiz einen Volksentscheid mit großem Medienecho, der eng mit dieser Frage verknüpft ist: Wie viel Ungleichheit finden wir noch gerecht – und mit welcher Begründung akzeptieren wir, dass Wenige viel und Viele wenig haben?
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Nietzsche über unbequeme Kritik

Verkehrte Welt. – Man kritisiert einen Denker schärfer, wenn er einen uns unangenehmen Satz hinstellt; und doch wäre es vernünftiger, dies zu tun, wenn sein Satz uns angenehm ist.

Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches. 9. Hauptstück, § 484. Zitiert nach: Schlechta, Karl (Hg.): Friedrich Nietzsche. Werke in drei Bänden. München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1966. Bd II, S. 693

Seneca – Das Glück und die anderen

Seneca der Jüngere, ein römischer Gelehrter des ersten Jahrhunderts, schreibt an seinen Bruder über das glückliche Leben. Die Schrift handelt von den Wegen und Abwegen, die sich demjenigen darbieten, der glücklich werden will – und wer will das nicht?
Spätestens seit Aristoteles ist es eine verbreitete Auffassung, dass alles menschliche Bemühen letztlich auf die εὐδαιμονία, die eudaemonia oder Glückseligkeit gerichtet ist – wir mögen nach Reichtum oder Ruhm, Weisheit oder Freiheit von Zwängen streben, letztlich tun es wir, weil wir uns davon versprechen, dass es uns glücklich macht. Die Glückseligkeit selbst ist kein Zweck, um etwas anderes durch sie zu erreichen. Sie allein wird um ihrer selbst willen angestrebt. Wenn aber darin so große Einigkeit herrscht, warum gibt es dann so gewaltige Unterschiede und Widersprüche in der Frage, wie dieses Ziel, das doch alle Menschen eint, zu erreichen wäre?
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