Wir wissen wo du wohnst!

Auf der aktuellen Titelseite der Wochenzeitung „Die Zeit“ warnt Susanne Gaschke vor dem „Google-Wahn“ (1). Die Möglichkeiten, die Google seinen Nutzern bietet, können jeden betreffen, eben auch Nichtnutzer. Beispielsweise wenn wir bei Google Street View zu sehen sind. Besonders aufmerken lässt aber das neueste Google-Produkt von dem Gaschke berichtet: Das internetfähige Handy Nexus One. Dieses Handy enthalte das Programm „Goggles“, das bereits heute in der Lage sei, Gesichter auf mit dem Handy geschossenen Fotos durch biometrische Bildersuche via Internet zu erkennen. Vorausgesetzt, es gibt von der betreffenden Person irgendwo im Internet bereits Fotos. Momentan ist diese Funktion im Google Handy noch deaktiviert bis datenschutzrechtliche Probleme ausgeräumt seien. Aber was dann?

Vielen wird es bei der Meldung kalt den Rücken herunter laufen. Überall auf der Straße kann jemand, der scheinbar SMS schreibt, oder den wir einfach nicht bemerken, ein Foto von uns schießen und gleichzeitig unseren Namen erfahren. Er kann uns dann im Telefonbuch nachschlagen oder über die normale Google-Suchmaschine nachschauen, was sonst noch so über uns zu erfahren ist.

Diesen Befürchtungen steht ein größer werdender Teil der Bevölkerung aber indifferent gegenüber. Gemäß dem in der Zeit zitierten Google Vorstandsvorsitzenden Schmidt: „Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht gar nicht erst tun.“ Oder gemäß dem sehr ähnlichen Argument: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Sie denken vielleicht oft, dass gezieltere, im schlimmsten Fall zu viel Werbung das einzige ist, was von solchen neuen Informationsmöglichkeiten zu erwarten sei.

Aber in diesem Zusammenhang gibt es sehr viel mehr zu bedenken. An zwei Punkten sei dies beispielhaft verdeutlicht:

1. Wir sind Menschen und haben Fehler und schlechte Tage wie alle anderen auch. Es fängt schon bei kleinen Peinlichkeiten an, beim heimlichen Nasebohren, das man sich ja schon immer abgewöhnen wollte und hört bei handfesten persönlichen Problemen auf, die niemanden etwas angehen. Das man aus der Praxis des Psychotherapeuten gelaufen kommt, oder vom Treffen der Anonymen Alkoholiker. Wenn Fremde uns dabei sehen, ist es uns vielleicht unangenehm, aber „man sieht sie ja nie wieder“, wie man so sagt. Doch wenn unser Name uns fortan ins Gesicht geschrieben steht, kann man unsere Geheimnisse verraten. Kann die Antwort darauf sein, einfach keine Fehler zu machen und Probleme zu haben? Vermeiden wir einfach alle peinlichen Situation, vergessen einfach alle schlechten Kindheitserlebnisse, die uns zu lange verfolgten, trinken nie mehr zu viel, rauchen nicht mehr heimlich, und benehmen wir uns endlich genau so, wie es die Gesellschaft, von uns will.
Was früher nur unsere besten Freunde wussten, wir tun es einfach nicht mehr. Das ist die schöne freie Welt der unbegrenzten (technologischen) Möglichkeiten.

2. Wir sind mehr als Konsumenten und die Außenwelt besteht nicht nur aus Verkäufern. Wir sind z.B. auch Bürger einer Demokratie in der es unterschiedliche Interessen gibt. Nicht immer stehen sich die Vertreter der einzelnen Ansichten sachlich gegenüber. Ein vielleicht extremes, aber nicht seltenes Beispiel: Als Staatsbürger nehmen wir an einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit teil, oder an einer Mahnwache gegen den Holocaust. Wir stehen zu unserer Meinung und bekunden dies dadurch auch öffentlich. Dann kann auch jeder unseren Namen erfahren, oder? Wo ist das Problem?
In einem Demonstrationszug werden Einzelpersonen zur Gruppe, die gemeinsam auftritt und zeigt, wie groß sie ist. Gegendemonstration müssen angemeldet werden, die Polizei trennt die Züge, um Übergriffe zu verhindern. Auf einer Demonstration können wir vertreten, was wir alleine gegenüber drei gewaltbereiten Nationalsozialisten aus Sicherheitsgründen für uns behalten. Wir können als Demonstranten unser Meinungsrecht ohne Angst ausüben.
Die Möglichkeiten der biometrischen Gesichtserkennung und weiterer Informationsbeschaffung übers Internet können aber dazu genutzt werden, Demonstranten gezielt einzuschüchtern und ein Bedrohungsszenario aufzubauen, dass Menschen vom Demonstrieren abhält. Wer würde es sich nicht zweimal überlegen, wenn er wüsste, dass von den tausend Menschen des Demonstrationszuges mindestens fünf in der nächsten Woche zu Hause gewalttätigen Besuch bekommen? Denn wer einen Namen hat, hat auch schnell eine private oder berufliche Adresse.

(1) Susanne Gaschke: „Im Google-Wahn“. In: Die Zeit, Ausgabe 3/2010, S.1

13 Antworten auf „Wir wissen wo du wohnst!“

  1. Das Programm heißt "Goggles", nicht "Googles" und Gesichtserkennung ist genau die Anwendung, die gegenwärtig dami nicht möglich ist – ob sie es jemals sein wird, bzw. ob Google dies zulässt – halte ich persönlich zudem für fraglich.

  2. Ich persönlich halte es nicht für fraglich, denn wozu sollte ein Programm entwickelt werden, das man nicht zu vermarkten gedenkt?
    Der Artikel der ZEIT (http://www.zeit.de/2010/03/…) liest sich doch auch recht deutlich, nämlich das das Produkt "einstweilen" zurückgehalten wird, "bis datenschutzrechtliche Probleme ausgeräumt seien".
    Insofern sind obige Beispiele wohl keine Hirngespinste, sondern ernste und konkrete Sorgen.

  3. OB das Programm auf den Markt kommt, ob es dann auch marktfähig ist oder noch mit vielen kleinen Fehler bespickt. Das alles sind für mich müßige Detailfragen. Es muss auch nicht alleine Google sein. Apple weiß mit seinem iphoto die schöne neue Welt der biometrischen Daten sehr ähnlich zu nutzen. Es wurde ein Gesichtserkennung-Programm für Fotografien entwickelt, die das BKA noch im Jahr 2007 hätte neidisch werden lassen. Dessen Programm, "Gesichtserkennung als Fahndungsmittel – Fotofahndung" [diesen Titel kann mensch einmal googlen], ist zu jener Zeit noch relativ erfolglos beendet worden. Da sich aber ein Großteil der KonsumentInnen über die neuen Möglichkeiten der Vernetzung, des social networking und der Weltneuvermessung bedenkenlos freut, ist nun endlich eine Nachfrage entstanden und somit jene Technologieentwicklung finanziell in trockenen Tüchern. Diese Programme, heißen sie nun goggles, iphoto oder sonstwie müssen dann "nur noch" von der Polizei und ähnichen Institutionen eingekauft und genutzt werden.
    Aber zu verbergen haben wir ja alle nichts.
    Was ich mich frage: Ist das ganze personenbezogene-Daten-zur-Schau-Stellen vielleicht Ausdruck eines Bedürfnisses nach sozialer Kontrolle? Was die Dorfgemeinschaft (angeblich) noch bieten kann wird in Räumen voller Stadtneurotiker und scheinbar sich gleichgültig begegnender Anonymer die jeder und jedem mit Skepsis begegnen, aus Angst vor dem Andren, unmöglich. Der Wunsch, um das man weiter auszuführen, könnte ja sein, die Anderen, nicht aber sich selbst zu kontrollieren. Das wiederum lässt sich technologisch (Kameras etc) scheinbar sicherer und schneller herstellen als durch Erziehung zu Vertrauen und Mündigkeit..

  4. "wozu sollte ein Programm entwickelt werden, das man nicht zu vermarkten gedenkt?"

    Für genau die Zwecke, für die es derzeit offenbar schon eingesetzt werden kann.

    "Ist das ganze personenbezogene-Daten-zur-Schau-Stellen vielleicht Ausdruck eines Bedürfnisses nach sozialer Kontrolle? "

    Nein, es ist Ausdruck des Bedürfnisses nach sozialem Austausch.

  5. Lieber Rowlf,

    nichts hat nur Vorteile und nichts ist uneingeschränkt positiv. Das Programm zur Gesichtserkennung, dass offensichtlich auch von anderen Firmen entwickelt wird, wird als m.E. Wettbewerbsvorteil in einem Verdrängungswettbewerb eingesetzt werden. Die Vorstellung, dass dieser Wettbewerbsvorteil nicht zum Zuge kommt, nachdem sich, wie ich in der ZEIT gelesen habe, Google schon auf die Einführung in den privaten Sektor vorbereitet (was du verneinst, wo ist deine Quelle?), ist fromme Hoffnung, die versucht die negativen Aspekte wegzudenken.

  6. Es ist in der Tat so, dass Google die Gesichtserkennung – wie rudimentär auch immer sie funktionieren soll – einstweilen abgeschaltet hat.

    "We need to really understand how this tool affects people’s privacy and cannot change that decision until we do", so Marissa Mayer. Ob eine Gesichtserkennung von Goggles (es ist kein Programm ZUR Gesichtserkennung, das ist eine mögliche Einsatzform) überhaupt ein Wettbewerbsvorteil sei, wird also evaluiert.

    Im Übrigen: Wie groß schätzt Du denn den Datensatz an Bildern, auf die Google zugreifen kann, ernsthaft ein? Der Anteil an Privatpersonen, die über Google durch den Klarnamen gefunden werden könnn, ist verschwindend gering. Letztlich geht es auch hier wieder nur um den verantwortungsvollen Umgang mit Daten. Wer nicht gefunden werden will, stellt eben keine Bilder ins Netz. Das gilt für Bilder wie für alles andere auch.

    Und Apples iphoto, das oben erwähnt wurde: Die haben nun wirklich überhaupt keine Datensätze zum Abgleich zur Verfügung. Wenn es aber um staatliche Stellen wie eben das BKA geht, die solche (aber vermutlich viel fortgeschrittenere) Software womöglich / vermutlich nutzen oder testen, dann bin ich dabei: Datenschutz auf politischer Ebene – da spielt die Musik!

    Ich bin ja im übrigen alles andere als ein Google-Fanboy, aber der Ursprungsartikel ließ einfach auf ein ärgerlich geringes Maß an Recherche schließen.

  7. Lieber Rowlf,

    eines verbitte ich mir vorweg: Der Artikel ist nicht "ärgerlich gering recherchiert"!
    Weil er 1. keine aktuelle Zeitungsmeldung ist, die über Goggles berichtet, sondern eine Reflexion über die aktuelle Entwicklung der technischen Möglichkeiten unseres Alltags, der die Meldung über das potentielle Können des Google Handys zum Anlass genommen hat, mal ein paar Schritte dem Jetzt und dem Gestern voraus zu denken. Und 2. mein EINZIGES erkennbares Rechercheproblem im obigen Artikel war, dass ich einen Buchstabendreher im Programmnamen hatte.

    Ansonsten kann ich mich Muriel und Rainer nur anschließen. Egal was Goggles noch kann, es wird daran gearbeitet, dass es auch Gesichter erkennen kann. Und es braucht herzlich wenig Phantasie, um sich zu überlegen, wofür Gelder in Entwicklungen gesteckt werden: Um sie zu benutzen.
    Selbst wenn seine Fähigkeiten noch rudimentär sind, macht es Sinn, sich bereits jetzt darüber Gedanken zu machen, wie uns dieses Tool, das uns zukünftig (ob morgen oder in 2 Jahren macht keinen Unterschied) zur Verfügung stehen wird, in unserem täglichen Leben beeinflussen wird. Und nach wie vor denke ich, die gesellschaftlichen Auswirkungen der neuen technischen Möglichkeiten werden enorm sein und sie werden nicht lange auf sich warten lassen.

    Zuletzt zu Deiner Anmerkung mit dem Bilderpool: Auch hier rate ich, in die Zukunft zu denken. Der Bilderpool wird nämlich ständig größer und in vielen Fällen können wir es nur schwer verhindern, dort aufzutauchen. Im übrigen sind Personensuchmaschinen wie yasni sehr erfolgreich in der Klarnamensuche. Ich persönlich zum Beispiel bin über meinen Klarnamen zu finden, weil ich auf der Homepage meines Arbeitgebers mit Bild vorgestellt werde. Ich brauche einen Job und hoffe auf eine Vertragsverlängerung. Der Druck ist also entsprechend hoch, mich nicht als einzige Mitarbeiterin dort austragen zu lassen. Wenn derjenige, der die Seite programmiert, sich nicht um Datenschutz kümmert, habe ich schon den Salat. Trotz meiner Bitten, ist das Bild immer noch nach meinem Nachnamen benannt.
    Also bin ich selbst schuld, dass man mich findet und darf mich nicht beschweren? Ein Recht auf Datenschutz hat also in Zukunft nicht mehr jeder, sondern nur, wer sich aktiv auf allen Gebieten um ihn bemüht. Genau das sagt deine obige Argumentation "Wer nicht gefunden werden will, stellt eben keine Bilder ins Netz."

  8. Hallo,

    ich würde gern einmal auf Muriels letzten Absatz eingehen.
    Es scheint ja landauf landab eine enorme Tendenz zur Personalisierung zu geben: Da werden neuerdings in der ZEIT Autoren mit Foto vorgestellt, es werden von Verlagen deren Autoren im Bild porträtiert; von dem Bedürfnis normaler Bürger, sich im Internet zu präsentieren, ganz zu schweigen. Gäbe es diesen Trend nicht, wäre diese Funktion des Google-Handys ja nutzlos.
    Das ist für mich die eigentlich spannende Frage. Muriel hat sie mit dem Bedürfnis nach sozialer Kontrolle (der anderen) zu beschreiben versucht.
    Und liebe Sonja, die Argumente, die du vorbringst gegen diese Handy-Funktion sind Argumente der Angst. Die ist berechtigt. Aber ist es auch vernünftig, Angst zu haben?
    Wenn ich aber z.B. an eine Dorfgemeinschaft denke, wo jede jeden kennt, findet die Geichtserkennung ja schon automatisch kognitiv (und emotional) statt. Das Problem der technischen anonymisieten Gesichtserkennung besteht wohl darin, dass andere mich erkennen, obwohl ich sie nicht kenne.
    Das scheint mir das klassische Problem einer öffentlichen Person zu sein.
    Demnach befindet die Gesellschaft in einem Trend, der potentiell alle Menschen zu öffentlichen (also mehr oder weniger berühmten) Personen macht. Ist das nicht großartig?

  9. Hi Sebastian,

    für mich sind obige Argumente keine Argumente der Angst, sondern Argumente der berechtigten Sorge, die negative Effekte reflektieren. Du nimmst auf diese Effekte keinen Bezug! Und ich finde es gar nicht großartig ein bisschen berühmt zu sein, ich will noch selbst entscheiden, wer mich kennen darf… eben um solchen und ähnlichen negativen Effekten zu entgehen, über die Du lieber schweigst.

  10. Hi Jasmin,

    du siehst es völlig richtig, dass ich auf diese negativen Effekte, die berechtigte Sorgen aufkeimen lassen, nicht weiter Bezug nehme. Für mich ist die überall erkennbare Tendenz zur Personalisierung von Daten, oder, wenn man so will, der Wandel von einfacher Information hin zu Geschichten von Menschen das eigentlich Interessante. Meine These ist daher, dass die Technik der Gesichtserkennung lediglich eine sehr naheliegende ‚Materialisierung‘ dieser Tendenz ist.
    Ich denke, dass genau diese Tendenz auf einem Bedürfnis beruht, dass nicht einfach negativ zu bewerten ist, dem man sich aber auch nicht einfach entziehen kann (wie Sonja am Beispiel ihres Jobs schon deutlich gemacht hat).
    Meine Frage richtet sich also weniger an die Effekte. Ich würde gerne danach fragen, was das eigentlich für ein Bedürfnis ist (oder vielleicht steckt ja etwas anderes dahinter?).
    Mein Vorschlag war, dass wir alle berühmt werden wollen… (zugegeben, etwas flapsig. Aber wenn ich daran denke, dass es im internet schon drei Menschen gibt, die ich gar nicht kenne, die sich aber für meine Hausarbeiten interessieren, die ich geschrieben habe – und ins internet gesetzt – dann freut mich das doch irgendwie. Es gibt sicher eine Menge weiterer Beispiele…)

  11. Als Nachtrag zum Thema, wie schnell so etwas kommen wird und wie interessant solche Dienste in ökonomischer Hinsicht sind, empfehle ich den Online-Artikel der Technology Review:

    Eine schwedische Software-Firma kombiniert Gesichtserkennung, Augmented Reality und soziale Netze zu einem neuen Dienst: "Recognizr" sagt, wer im Café neben einem sitzt.
    Zu finden unter der URL:
    http://www.heise.de/tr/arti

    …Ich werde mich sicher nicht freiwillig dort anmelden in der Hoffnung, "berühmt" zu werden. Besseres Mittel dafür: Namensschild anpinnen, geht auch leichter Rückgängig machen. 😉

  12. Wie meint Sebastian "eine Dorfgemeinschaft, wo jede jeden kennt"? Ist das ein weggelassenes kleines R oder so gemeint, wie es da oben steht?

  13. Ich meine den Satz politisch korrekt genau so, wie er da steht. Dass damit der Bedeutungshorizont des Spruchs "hier kennt jeder jeden" mitgedacht wird, habe ich wohl bedacht. So denkt man hoffentlich an alle…
    Vielleicht noch eine Anmerkung zum Thema:
    Wenn über das Internet Informationen mit Persönlichkeiten verknüpft werden, wenn jede Firma im internet ihre MItarbeiter mit Foto auflistet (vielleicht um persönlichen Kontakt aufzubauen), wenn wir selbst uns darstellen auf facebook u.a. oder wenn wir über Portale wie xing Menschen finden können, deren Fähigkeiten und Wissen wir brauchen können – ist diese Entwicklung eigentlich richtig und wichtig?

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