Wieso Vorsokratiker?

Die Milesier, ebenso wie Xenophanes, Phytagoras, Heraklit und die Eleaten (um nur einige zu nennen) verbindet vor allem eines: Sie werden unter dem Begriff Vorsokratiker zusammengefasst. Doch wieso entsteht mit dem Auftauchen von Sokrates in der griechischen Philosophiegeschichte gleichzeitig eine Zäsur?
Sokrates lebte von 470 bis 399 v. Chr. und hat selbst nichts aufgeschrieben. Seine maßgeblich durch Platon überlieferte Philosophie richtet sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern auf die praktischen Aspekte der Philosphie und steht somit Mitten im Alltäglichen. Während zuvor in Fragen der Sitten und des Lebensvollzuges das Tradierte schlicht übernommen wurde, oder diese Fragen einfach keine Beachtung fanden, beginnt Sokrates das vermeintlich Selbstverständliche aufzubrechen und auf seine jeweiligen Begründungen zu hinterfragen. Beispielsweise fragt Sokrates im Dialog Euthyphron was nun „Frömmigkeit“ eigentlich ist, und es zeigt sich, dass diese Frage nicht so einfach zu beantworten ist, wie es zuerst den Eindruck macht. Im Dialog Lysis wird nach einer Definition für Freundschaft gesucht, und so alltäglich das Phänomen ist, so sehr entzieht es sich einer Definition, so dass Sokrates nachdem die Diskussionspartner längst aufgebrochen sind, zu seinen noch anwesenden Freunden sagt: Diesmal, oh Lysis und Menexos, haben wir uns lächerlich gemacht, […]. Denn diese, wenn sie nun gehen, werden sagen wir bildeten uns ein, Freunde zu sein, […] ; was aber ein Freund sei, hätten wir nicht vermocht auszufinden.“ (1).
In seiner Art das Selbstverständliche zu hinterfragen liegt der große Unterschied zu den vorangehenden Philosophen und dies macht es verständlich, wieso in der Philosophiegeschichte mit Sokrates gleichsam eine Zäsur stattfindet, die den Beginn einer neuen Epoche markiert.

nach: Figal, Günter: Sokrates. 2. Auflage. München: C.H. Beck, 1998. S. 11-13

(1) Platon: Lysis. 223b (Übers. v. Friedrich Schleiermacher)

Die fremde Kultur und die Toleranz

Der Mensch, der sich mit einer ihm fremden Kultur konfrontiert sieht, beginnt zumeist diese an seiner eigenen Kultur zu messen. Dies geschieht in der Regel auf Basis moralischer Wertungen und Ansichten. Finden aus dem Blickpunkt des Betrachters moralisch verwerfliche Handlungen in der fremden Kultur statt, werden diese in den Bereich des Archaischen verbannt, über den die eigene Kultur und man selbst schon lange herausgewachsen ist.
Diese These kann selbstverständlich nur Bestand haben, sofern man objektive Werte annimmt, deren Zugang sich jede Kultur und Gesellschaft erarbeiten kann – diese Ansicht dürfte heute nur noch von den Wenigsten geteilt werden, die Mehrheit hat sich der Toleranz andersartiger Kulturen verschrieben und empfindet die Pluralität von Denk- und Lebensweisen als bereichernd.
Doch wie weit wird diese Toleranz reichen, wenn die betrachtete Kultur gegen die Grundregeln der Kultur des Betrachters verstößt, wenn beispielsweise eine gesamte Familie für das Verbrechen eines einzelnen bestraft und auf Jahre eingesperrt wird? Wird hier die Toleranz nicht erodieren und dem Wunsch weichen, in dieser Kultur eine Veränderung herbeizuführen? Vermögen wir es, uns über unsere tradierte moralische Empfindung zu erheben und der fremden Kultur die Selbstbestimmtheit einzuräumen, die wir selbst verlangen? Gerade in zentralen Fragen scheint das ein kaum bewältigbarer Kraftakt, da man seine moralischen Vorstellungen bereits so weit objektiviert hat, dass man selbst im Bewusstsein um den subjektiven Charakter dieser Ansichten, kaum anders kann, als eine Veränderung zu wünschen. Wie tolerant können wir also wirklich sein, oder bedeutet Toleranz doch lediglich die Akzeptanz von Abweichungen, die die nicht zentralen Punkte unserer Kultur und Moral betreffen?

siehe hierzu auch: Wie brüchig sind unsere Werte?

Zunächst sehe ich mich durch die menschenleere Einsamkeit, in die mich meine Philosophie geführt hat, in Schrecken und Verwirrung gesetzt; ich könnte mir einbilden, ich sei ein seltsames, ungeschlachtetes Ungeheuer, das, nicht geeignet, sich unter die Menschen zu mischen und mit den Menschen zu leben, aus allem menschlichen Verkehr ausgestoßen worden und völlig allein und trostlos gelassen worden ist.

Hume, David: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I. Über den Verstand. Hrsg. von Reinhard Brandt. 2. Auflage. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1989. S. 342, Teil IV, Abs. 7

Was ist Skeptizismus?

Wir leben heutzutage in einer Welt, in der Erkenntnisse über unsere Welt zwar angezweifelt werden, aber stets nur aus dem Grund, sie durch eine erneute Erkenntnis zu ersetzen. Die Naturwissenschaft ist geradezu angewiesen auf einen objektiven Zugang zum Sein der Welt.
Die Möglichkeit eines objektiven Zugangs überhaupt wird dabei selten hinterfragt, dennoch ist durch ihre Verdrängung die Frage nach der Möglichkeit von Wissen über die Außenwelt nicht beantwortet. Der Skeptizismus bestreitet (je nach Strömung) die Möglichkeit von Wissen über die Außenwelt oder zweifelt an der Beantwortbarkeit der Frage schlechthin. Eine solche Frage wirkt zumeist absurd auf Menschen, die in einer Welt leben, in der Wissenschaftler Flugzeuge zum Fliegen gebracht haben, was an sich wie ein Beweis eines objektiven Zugangs zu Naturphänomenen wirkt. Jedoch bezieht sich der Skeptizismus weniger auf ein konkretes Phänomen innerhalb der Welt, sondern auf die Außenwelt als Ganzes.
Die Philosophie der Skepsis ist dabei keine Erscheinung der Moderne, sondern nimmt ihren vermutlichen Anfang bei Pyrrhon von Elis, der von 360 bis 270 v. Chr. lebte, und wirkt bis in die Moderne bei Autoren wie Thomas Nagel, Barry Stroud oder Bernard Williams. Während über zweitausend Jahre hindurch auch antiskeptische Strategien entwickelt wurden, hat es von diesen keine einzige geschafft den Skeptizismus zu entkräften.
Zumindest aus philosophischer Sicht harrt die Frage nach der Möglichkeit von Wissen über die Außenwelt auch nach Jahrtausenden auf eine Antwort, während wir im Alltag diese Problematik leicht zu verdrängen vermögen.

siehe hierzu:
Ricken, Friedo: Antike Skeptiker. München: C.H. Beck, 1994.
Philosophie der Skepsis. Hrsg. von Thomas Grundmann und Karsten Stüber. Paderborn: Schöningh, 1996.

Moral und Ethik

Die Begriffe Moral und Ethik werden im heutigen Sprachgebrauch weitestgehend synonym verwendet, obwohl sie es eigentlich nicht sind.
Der Begriff der Moral hat sich aus dem lateinischen Wort mores entwickelt und bezieht sich auf den konkreten Vollzug von Urteilen, Normen, tradierten Vorstellungen etc. wie z.B. „Man stiehlt nicht.“. Moral stellt einen halbwegs geregelten Ablauf des Alltags sicher und bringt den Menschen somit eine gewisse Planungssicherheit. Da jeder mit der jeweils spezifischen Vorstellung von Moral seiner Zeit und Gesellschaft aufwächst, verinnerlicht er sie und hält sie zumeist auch für über jeden Zweifel erhaben und richtet seinen Lebensvollzug nach ihr aus.
Die Ethik (griechisch ηθική) hingegen widmet sich nicht der Lebenspraxis und ist demnach kein beständiger Begleiter im Alltag wie es die Moral ist, sondern ist eine philosophische Disziplin die sich in der Theorie vollzieht. Ethik reflektiert die Moral und untersucht inwiefern eine moralische Vorstellung richtig sein kann, aber auch inwiefern sie falsch ist.
So verwand Moral und Ethik also auch sein mögen, so unterschiedlich sind sie auch. Notwendig für eine Gesellschaft sind sie aber beide gleichermaßen.

siehe hierzu auch: Wie brüchig sind unsere Werte?

Ricken, Friedo: Allgemeine Ethik. 3. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. 1998 S. 13-17

Schweigen will gelernt sein

si tacuisses, philosophus mansisses

Wenn Du geschwiegen hättest, wärest Du Philosoph geblieben.

Boethius. Consolatio philosophiae (dt. Trost der Philosophie). II, 7

Der Philosoph Epikur (griechisch: Ἐπίκουρος) gehört zu den Philosophen, die nicht nur unter Fachgelehrten, sondern ebenso in der breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Er wurde im Jahre 341 v. Chr. auf der Insel Samos geboren und starb im Alter von 72 Jahren.
Epikur gilt als Hedonist, folglich als jemand der nach Lust und Genuss strebend die Erfüllung des Lebens sucht. Dieses Bild von Epikur gilt auch heute noch vielen als gültig, wobei es seine eigentliche Lehre verkennt, die keineswegs auf ausufernde Genüsse und Lüste angelegt ist. Epikur votiert dafür, keine überflüssigen Begehrlichkeiten auszubilden, sondern sich in Selbstgenügsamkeit zu üben. Es erscheint einleuchtend, dass z.B. der, der eines Festmahls bedarf, um beim Essen Glück zu empfinden, bei Wasser und Brot unzufrieden sein wird. Der Genügsame hingegen, vermag mit weniger ebenso glücklich zu sein und wird demnach sich vermutlich auch durchgängiger im Glück befinden.
Herbert Marcuse hat die Lehre Epikurs als „negativen Hedonismus“ bezeichnet und damit dem Umstand Rechnung getragen, dass Epikur Lust und Glück als Abwesenheit von Unlust definiert. Vielleicht bedarf es in der Tat nicht mehr, als ohne Sorgen und körperliche Gebrechen zu leben, um glücklich zu sein; und vielleicht zerstört gerade die Ungenügsamkeit dieses Glück, wenn der Mensch immer mehr will, als er hat.
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Der Atomismus – scheinbar modernes

Die Lehre von Atomen erscheint zumeist als eine moderne naturwissenschaftliche Sicht auf unsere Welt. Unbestritten haben Naturwissenschaftler gerade in den letzten Jahrzehnten das Atom eingehend untersucht und so manche verblüffende Erkenntnis zu Tage gefördert, aber bereits im alten Griechenland wurde sich mit der Lehre von Atomen beschäftigt. Als wichtigster Vertreter gilt hierbei gemeinhin Demokrit aus Abdera (ca. 460 – ca. 370 v. Chr.).
Demokrit vertrat die Auffassung, dass zwei Prinzipien allem vorherrschend sind: zum einen das des Seienden, zum anderen das des Nichtseienden. In den Bereich des Seienden fallen die Atome als kleinste Einheiten, die nach Demokrit nicht teilbar sind, sich aber durch ihre Form, Lage und Anordnung voneinander unterscheiden. Atome, so nahm er an, befänden sich in einer unerklärlichen aber stetigen Bewegung, die dazu führt, dass sie sich verkanten und somit größere Einheiten bilden.
Mit diesen Ansichten liegt Demokrit nicht besonders weit entfernt von der allgemeinen Auffassung von Atomen, in anderen dafür um so mehr. So war Demokrit beispielsweise der Auffassung, dass die Atome eines Gegenstandes ein materielles Bild absondern, dass in das Auge des Betrachters materiell eintritt.
Selbstredend hat Demokrit die naturwissenschaftliche Forschung durch sein Denken nicht obsolet gemacht, dennoch wirkt es beeindruckend, in welcher Tiefe Demokrit allein durch Denken und Folgern die Struktur der seienden Dinge erfasste, ohne die technische Möglichkeit eines empirischen Beweises.

siehe hierzu auch: Ricken, Friedo: Philosophie der Antike. 3. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer (2000) S. 56-59

Der Philosoph in Einsamkeit

Der Philosoph kann sich in seiner Einsamkeit immer darauf verlassen,
daß seine Gedanken ihm Gesellschaft leisten werden.

Arendt, Hannah: Vita activa. oder vom tätigen Leben. 5. Auflage. München: Piper Verlag. (2007) S. 93

Gefangen im Kreislauf der Geschichte

Machiavelli geht von einem ewigen Kreislauf der Geschichte aus. Staaten bewegen sich beständig von der Ordnung zur Unordnung und hiernach wieder zur Ordnung. Dies liegt zum Einen in der menschlichen Natur insofern, als dass der Mensch ebenso egoman wie auch ein gemeinschaftliches Dasein führen kann (die Egomanie tritt hier als Feind des gemeinschaftlichen Daseins auf und umgekehrt). Zum Anderen ist es in dem Umstand begründet, dass in menschlichen Dingen scheinbar niemals ein Stillstand eintreten kann. Jeder Aufstieg zu einer vollkommen organisierten Gesellschaft endet zwangsläufig mit ihrer Degeneration und, da sich der Stillstand verbietet, endet die Degeneration wieder in einem erneuten Aufstieg zu einer (nahezu) vollkommenen Gesellschaft.
Das Wechselspiel von Egomanie und dem Vermögen zum gemeinsamen Leben führen also immer wieder zu einem Zyklus der Geschichte der beständig zwischen Ordnung und Unordnung wechselt und keine Möglichkeit zum Entrinnen bietet.
Folgt man Machiavelli in dieser Auffassung, so stellt sich unwillkürlich die Frage, in welcher Phase wir uns heute wohl befinden mögen.

nach Kersting, Wolfgang: Niccolò Machiavelli. 2. Auflage. München: C.H. Beck (1998) S. 62f.