Die Frömmigkeit entspricht dem Wunsch,
um jeden Preis in der Welt eine Rolle zu spielen.

Montesquieu. Meine Gedanken. Mes pensées – Aufzeichnungen. München: Carl Hanser Verlag. (2000). S. 7

Der Begriff der Philosophie wird in vielen Zusammenhängen verwendet, z.B. wenn man von einer Firmenphilosophie spricht, einer Anlagephilosophie oder ähnlichem. Dies rührt sicherlich vor allem daraus, dass sich der Philosophiebegriff selbst einer klaren Definition entzieht, weil er selbst Gegenstand einer andauernden philosophischen Betrachtung ist.
Vor einiger Zeit noch konnte man Plakate des Deutschen Roten Kreuzes finden, die zum Blutspenden aufforderten mit dem Werbespruch: „Philosophen gibt’s überall. Blut nicht.“ Und wenn selbst Karl Popper schreibt, dass alle Menschen Philosophen sind, dann scheinen die Macher des DRK-Plakates im Recht zu sein.
Man mag nun darüber mutmaßen, ob die Texter dieses Werbespruches eine Vorstellung von Philosophie haben, oder nicht. Auffallend ist jedenfalls, dass in der Gesellschaft Philosophie primär als ein wenig „Herumdenken“ (oder schlimmer, als Schwätzerei) wahrgenommen wird. Eine Vorstellung vom präzisen und strengen Methoden unterworfenem Philosophieren ist kaum bei Menschen aufzufinden, die sich nicht ohnehin bereits mit Philosophie beschäftigen. Dieser Umstand, dass Philosophie als Synonym für ein wenig „Herumdenken“ an allen Ecken und Enden benutzt wird ist sicherlich zu einem großen Teil mitverantwortlich dafür, dass in der Gesellschaft nur noch wenig Vorstellung von Philosophie als strenger Wissenschaft besteht.
Natürlich ist eine Forderung danach, den Begriff der Philosophie nur noch im Kontext einer strengen Philosophiedefintion zu verwenden, müßig; dennoch bleibt die Frage, ob man sich unbedingt immer freimütig mit dem Begriff der Philosophie schmücken muss, und auch, ob es wirklich notwendig ist, ein derart negatives Bild von Philosophie und Philosophen aufzubauen, um Menschen zur Blutspende zu bewegen.
Philosophen gibt’s überall? Leider nicht.

Viele Philosophen haben nichts aufgeschrieben und von anderen, die etwas von ihrer Lehre niedergeschrieben haben, ist nichts erhalten. Ohne Zeugnisse, die von der Person selbst stammen, ist der heutige Mensch auf die Schriften von anderen verwiesen, die etwas über die Person aufgeschrieben haben.
Schopenhauer geht genau auf dieses Dilemma am Paradigma des Sokrates ein. (1) Sokrates hat selbst nichts niedergeschrieben und abgesehen von den Überlieferungen der sokratischen Lehre durch Platon sind nicht viele weitere Berichte vorhanden. Die Frage die sich hierbei stellt ist offenbar: Wie nahe an der wirklichen Person liegt die Überlieferung? Schopenhauer bemerkt, in seiner typischen Manier, dass nach Berichten Sokrates einen Bauch gehabt haben soll und dies nicht das Abzeichen eines Genies sei.
Doch man muss bei Weitem nicht so polemisch werden, in der Tat können wir nicht wissen, ob uns Platon einen stark idealisierten Sokrates präsentiert, der nicht mehr viel Berührungspunkte mit dem Original hat, oder nicht. Man kann freilich darüber nachsinnen, wie wahrscheinlich das Eine oder Andere ist, aber wissen werden wir es wohl niemals. Dies gilt, wie gesagt, für alle Philosophen, die selbst nichts niederschrieben, oder über die nicht ausreichend voneinander unabhängige Überlieferungen durch Andere existieren.
Es schadet gewiss nicht, sich über der Lektüre eines frühen platonischen Dialogs (2) ein wenig den Zweifel vor Augen zu halten, in welcher Weise Platon uns Sokrates überliefert hat und ob es einen derart überlieferten Sokrates jemals gab.

(1) Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena. Fragmente zur Geschichte der Philosophie. Hrsg. von Frhr. v. Löhneysen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, o.J. (= Sämtliche Werke, Bd. IV). §3
(2) Die frühen platonischen Dialoge werden häufig als unverfälschte sokratische Philosophie angesehen, wobei die späteren als platonische Philosophie gelten. Diese Zuordnungen und Wertungen sind jedoch nicht immer ganz unproblematisch.

Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem:
den Selbstmord.

Camus, Albert: Der Mythos des Sisyphos. Übersetzt von Vincent von Wroblewsky. Reinbek: Rowohlt Verlag, 1999. S. 11

Philosophie und Glaube

Philosophie und Glaube unterscheiden sich grundsätzlich, während die Philosophie die Wahrheit sucht, glaubt der Glaube diese bereits zu kennen. Und während die Meisten diesen Unterschied als trivial und richtig abnicken, ist doch oft zu bemerken, dass philosophische Lektüre durch die Brille des eigenen Glaubens gelesen wird.
Mit Glauben ist hier weniger eine Gottesvorstellung gemeint (der in sich problematische Sonderfall der Religionsphilosophie soll hierbei unberücksichtigt bleiben), als vielmehr die persönlichen Auffassungen über die Beschaffenheit der Welt, die des Menschengeschlechts oder den erstrebenswerten zwischenmenschlichen Umgang, die gültigen Normen und Werte. Häufig ist zu beobachten, dass, wenn eine philosophische Lehre gegen die persönlichen alltäglichen Auffassungen, z.B. vom Menschen als Menschenfreund oder Misantrophen, verstößt, sie nur auf Grund des persönlichen Glaubens, eines eigenen Gefühls verworfen wird, ohne dass man den Text gewähren lässt. Dabei ist eine philosophische Schrift durch Glauben ebensowenig zu widerlegen, wie Glaube durch eine philosophische Schrift ad absurdum geführt werden kann. Philosophie und Glaube bewegen sich schlicht auf verschiedenen Ebenen, die sich gegenseitig nicht in gültiger Weise beeinflussen können, denn Glaubenssätze sind für die Philosophie ebensowenig von Nutzen, wie ein philosophischer Beweis einen Glauben ruinieren muss. Philosophie ist nicht dafür da, uns in unserem Glauben über dies und jenes oder unseren Gefühlen eine Sache betreffend zu bestätigen, sondern sie ist Suche nach der Wahrheit, auch wenn die Wahrheit unseren Auffassungen schmerzlich widersprechen sollte.
Die Philosophie lediglich dazu zu nutzen, sich in seinen Haltungen bestätigen zu lassen und seinem Glauben widersprechende Sachen als Mumpitz zu verwerfen, bedeutet die Philosophie leer werden zu lassen, denn nicht länger wäre sie in diesem Fall eine Begleiterin auf der beschwerlichen Suche nach der Wahrheit, sondern lediglich ein Instrument der bequemen und wahrheitsindifferenten Selbstbestätigung.

Der erste Philosoph

Die Frage nach dem ersten Philosophen ist aus zwei Gründen nicht einfach zu beantworten, zum Einen muss zuvor die Frage geklärt werden, was überhaupt als Philosophie gelten soll, zum Anderen ist die Überlieferungslage der ersten Epoche der Philosophie, der sogenannten vorsokratischen Zeit, insgesamt doch eher löchrig.
Ein Gedanke sollte mehr leisten, um als Philosophie zu gelten, als kurz über das Leben zu sinnen, denn mit einem derart weichen Philosophiebegriff wäre beinahe alles Philosophie und jeder Philosoph. Legt man einen strengeren Philosophiebegriff zu Grunde, der ein systematisches Nachdenken über das jeweilige Objekt fordert, kann man Thales von Milet als ersten Philosoph angeben.
„Der erste Philosoph“ weiterlesen

Schopenhauer und der Egoismus der Menschen

Es gibt wenig Dinge. welche so sicher die Leute in gute Laune versetzen, wie wenn man ihnen ein beträchtliches Unglück, davon man kürzlich getroffen worden, erzählt oder auch irgendeine persönliche Schwäche ihnen unverhohlen offenbart – charakteristisch! –

Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena. Aphorismen zur Lebensweisheit. Hrsg. von Frhr. v. Löhneysen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, o.J. (= Sämtliche Werke, Bd. IV). S. 548

Seneca schreibt im dritten Buch seines Werkes „Über den Zorn“ (lat. De ira): „Das Unsere soll uns ohne Vergleich gefallen, niemals wird der glücklich sein, welchem durch einen Glücklicheren Qual bereitet wird. Ich habe weniger, als ich gehofft habe, aber womöglich habe ich mehr erhofft, als es erlaubt war.“ (1)
Durch Seneca wird hier einer der gefährlichsten Stolpersteine auf dem Weg zum Glück aufgegriffen, über den wohl so ziemlich jeder Mensch früher oder später stolpert und ins Straucheln gerät: Der Zorn auf Menschen, denen es vermeintlich besser geht, als einem selbst.
Zorn und Neid selbst sind es, die es im Moment ihrer Empfindung unmöglich machen Glück zu empfinden, und somit zerstört man sich selbst die eigene Möglichkeit Zufriedenheit zu empfinden und lässt sich vom Zorn über die eigene Situation blenden, die ja zumeist nicht einmal besonders schlecht ist. Nicht von ungefähr schreibt Seneca etwas später: „Deshalb zürnen wir auch den Göttern, was die Tatsache anbetrifft, dass irgendjemand uns übertrifft, vergessen habend, wie viele der Menschen sich dahinter befinden.“ (2)
Man kann immer mehr wollen, als man hat, und missgünstig jene beäugen, die recht glücklich durchs Leben zu gehen scheinen, doch wird man hierdurch kaum Glück erhalten, sondern nur in zorniger Unrast dem nun unerreichbarem Glück hinterherjagen.

siehe hierzu auch:
Vom Antrieb aller Menschen
Das Vorurteil über Epikur

(1) Seneca. De ira. Liber III, 30, 3. Übersetzung von mir. (lat. Nostra nos sine comparatione delectent, numquam erit felix quem torquebit felicior. Minus habeo quam speraui : sed fortasse plus speraui quam debui.)
(2) ebd. 31, 1. Übersetzung von mir. (lat. Inde diis quoque irascimur quod aliquis nos antecedat, obliti quantum hominum retro sit.)

Auf den ersten Blick zeichnet sich das Schüler- und Lehrerverhältnis vor allem dadurch aus, dass eine markante Asymmetrie im Wissen den Einen zum Lehrer macht und die Anderen zu Schülern. Jedoch ist die Frage berechtigt, inwiefern es sich hierbei wirklich um eine starre hierarchische Struktur handelt.
Lehrt der Lehrer lediglich und überlässt das Lernen den Schülern? Es wäre sicherlich zu weit gegriffen den Wissensunterschied von Lehrer und Schülern nivellieren zu wollen, da er offensichtlich vorhanden ist und konstitutiv auf die Rolle als Lehrer und Schüler wirkt. Dennoch scheint an dem Ausspruch, dass der Lehrer im Unterricht mindestens so viel lernt wie der Schüler, etwas Wahres zu sein, denn wo immer Menschen zusammentreffen entstehen Möglichkeiten neues Wissen zu erwerben, sei es durch eine fruchtbare Diskussion, beispielsweise in einem philosophischen Seminar zwischen Lehrkörper und Studenten, sei es durch repetieren des eigenen Wissens im Versuch einen Sachverhalt zu erklären (denn erst hier werden Lücken offenbar, wo man zuvor keine vermutet hätte), sei es, dass die soziale Kompetenz im Umgang mit den Schülern geschult wird oder einfach nur der horizonterweiternde Umstand fremde Sichtweisen zu erfahren. Diese Liste könnte sicherlich beliebig verlängert werden, doch diese exemplarischen Beispiele sollen an dieser Stelle genügen.
Freilich kann nur derjenige lernen, der offen dafür ist, dies gilt für Lehrer und Schüler gleichermaßen. Der überhebliche Lehrer wird vermutlich genauso wenig lernen, wie der überhebliche Schüler, der meint, ohnehin bereits alles notwendige über die Welt zu wissen.
Schon Konfuzius sagte, dass überall wo er mit anderen Menschen zusammentraf er seinen Lehrer unter ihnen fand (Lunyu 7.21).
Jedes Zusammentreffen ist eine Chance zum Lernen, so versteckt sie auch sein mag, sie ist vorhanden und wartet nur darauf genutzt zu werden.

Sokrates nach seinem Todesurteil

Jedoch, es ist Zeit, daß wir gehen, ich, um zu sterben, und ihr, um zu leben. Wer aber von uns beiden zu dem besseren Geschäft hingehe, das ist allen verborgen außer nur Gott.

Platon: Apologia Sokratous. 42a (Übers. v. Friedrich Schleiermacher)