„Was nicht gar! Wie die Menschen uns Götter nun wieder verklagen!
Wir seien Spender des Unheils, sagen sie, wo sie doch selber Leiden
empfangen durch eigene Torheit und mehr als vom Schicksal!“

Homer: Odyssee. Übers. v. Anton Weiher. 11. Auflage. Düsseldorf: Artemis & Winkler Verlag, 2000. (= Sammlung Tusculum): I 32-34

Der Skandal der Philosophie

Immanuel Kant prägte den Ausdruck vom „Skandal der Philosophie“ in einer seiner Fußnoten in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“: „so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns […] bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können.“ (1). Tatsächlich scheint der Bezweifelung der Außenwelt, wie man sie quer durch die gesamte Philosophiegeschichte findet, wenig entgegenzustellen zu sein, denn dieser Zweifel ist von so fundamentaler Art, dass die Entgegnungen immer aus dem Bezweifelten selbst hervorgehen müssen und damit schlicht wenig überzeugend sind.
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Wir wissen nicht,
ob wir irgendetwas wissen,
oder ob wir nichts wissen.

Metrodoros von Chios

frei nach Cicero: Academica Priora, II, 72: Is, qui hunc maxume est admiratus, Chius Metrodorus initio libri, qui est de natura: nege, inquit, scire nos sciamusne aliquid an nihil sciamus, ne id ipsum quidem, nescire aut scire, scire nos, nec omnino sitne aliquid an nihil sit.

Vergesst die Wurzeln nicht!

In mannigfaltigen Zusammenhängen wird oft vom sogenannten christlichen Abendland gesprochen, wenn auf die Kultur und die Tradition dieser Region der Welt referiert wird. Eine derartige Referenz schneidet allerdings die Antike mit all‘ ihren Denkern, Erkenntnissen und Arbeiten, die der Bildung des christlichen Abendlandes vorausgingen, vollkommen ab.
Nicht zuletzt die Epoche der Antike hat vieles geleistet, was heute nicht mehr als solches wahrgenommen wird. Die Referenz auf die Antike ist schlicht verschwunden und die Dinge erscheinen als eine alltägliche Selbstverständlichkeit. So bemerkte Martin Heidegger in seiner Vorlesung über den platonischen Dialog Sophistes, dass wir diese Vergangenheit sind, und das nicht nur insofern, als dass man die griechische Tradition pflegt, indem man sich den alten und großen Problemen der Philosophie hingibt, sondern besonders dadurch, dass unser Alltag mit allen diesen Dingen durchdrungen ist, auch wenn wir diese oftmals nicht mehr wahrnehmen. (1)
Womöglich liegt der Grund dafür, dass auf dunkelraum.de oftmals Themen aus der Philosophie der Antike aufgegriffen werden, auch gerade darin, ein Bewusstsein dafür zu wecken, welcher Reichtum dort zu finden ist, womöglich auch aus dem Grund, dass ein philosophisches Problem wohl niemals wirklich verstanden wird, wenn man nicht seine Wurzeln kennt, aber auch, um vor aller Überheblichkeit zu warnen, die wohl jeder Epoche der Menschheit inne ist, nämlich sich selbst auf sämtlichen Gebieten für die aufgeklärteste und fortschrittlichste zu halten.

Wir können aus der Philosophie der Antike vieles lernen.

(1) Heidegger, Martin: Platon: Sophistes. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1992. (= Gesamtausgabe, II. Abteilung. Vorlesungen 1919-1944, Bd. 19). S. 10

Ist die Philosophie des Mittelalters Philosophie?

Die Frage, inwiefern man im Rückblick in das Mittelalter, die Schriften, die seinerzeit als Philosophie bezeichnet wurden, auch heute als Philosophie anerkennen kann, ist alles andere als trivial.
Die Philosophie des Mittelalters mit ihren Vertretern wie Justin, Clemens von Alexandrien, Augustinus, Boethius, Thomas von Aquin und vielen anderen ist maßgeblich am christlichen Glauben orientiert und unterscheidet sich damit fundamental sowohl von der Philosophie der Antike, wie auch von der späteren Philosophie der Moderne. Denn in diesen Strömungen wurde und wird Erkenntnis nicht durch Glauben, sondern, vereinfacht gesprochen, durch strenge Analyse, errungen. Natürlich wäre es verkürzt zu sagen, die Philosophen des Mittelalters hätten sich nicht auch den philosophischen Arbeitsmethoden der Antike bedient, aber über allem schwebte die Kraft des Glaubens und die Macht Gottes.
Würden heute entsprechende Schriften verfasst werden, würde man sie wohl eher dem Bereich der Theologie zurechnen als der Philosophie (1), da sie dem modernen Anspruch an eine philosophische Schrift zu großen Teilen oft nicht gerecht werden. Jedoch haben jene Philosophen ihre Schriften nicht in der heutigen Zeit verfasst, sondern im Mittelalter und Heinzmann bemerkt, dass man nicht den Fehler machen sollte, mit einem heutigen Philosophieverständnis über jene Zeit zu urteilen, sondern für ein Urteil das damalige Philosophieverständnis heranziehen sollte. Hinzu arbeitet er die Errungenschaften christlicher Philosophie des Mittelalters heraus, wie beispielsweise die Individualisierung, und ihre Bedeutung für die Philosophie der Moderne, die in dieser Art niemals ohne die Philosophie des Mittelalters möglich gewesen wäre. (2)
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So vieles ist verloren!

Es ist alles andere als ein Geheimnis, dass es um die Überlieferungslage der Philosophie der Antike nicht zum Besten bestellt ist. Selten erfuhr ein Gesamtwerk, wie das des Platon, eine so intensive Pflege. Richten wir unseren Blick beispielsweise auf das Gesamtwerk des Aristoteles, so bietet sich ein erschreckendes Bild von großem Verlust. Während man durch den Umstand, dass in den heutigen Bücherregalen viele Werke des Aristoteles zu finden sind, geneigt sein kann anzunehmen, dass sein Gesamtwerk recht gut erhalten ist, so lehrt ein Blick in das aristotelische Werkregister von Diogenes Laertius (DL V 22-26), dass vom Schaffen des Aristoteles lediglich ein Viertel überdauert hat. Richten wir unser Augenmerk auf Epikur, ist das Bild noch verstörender, von seinem umfangreichen Werk sind heute lediglich noch drei Briefe neben vereinzelten Lehrsätzen und Fragmenten erhalten. Von den Vorsokratikern muss erst gar nicht gesprochen werden.
Diese Liste könnte mühelos weitergeführt werden, aber die obigen Philosophen sind Paradigma für den großen Verlust genug. Ob man hoffen darf, dass einzelne Schriften wieder auftauchen, wie eine Zitatsammlung (Gnomologium Vaticanum Epicureum) von Epikur und seinen Schülern, die überraschend 1888 in einem vatikanischen Kodex gefunden wurde, ist fraglich.

Der Verlust der Bibliothek von Alexandria mit allen ihren Schätzen ist doch nur einer von vielen, wenngleich es sich hierbei um einen besonders großen handelt. Es ist nicht auszudenken, an welchem Punkt wir uns heute ideengeschichtlich befinden würden, wäre mehr erhalten geblieben, und welcher Wissensschatz uns durch einzelne Schriften zuteil geworden wäre. Und so bleibt nur zu hoffen, dass viele der Dinge, die auf ewig verloren und vergessen sind, heute von anderen neu gedacht werden, auch wenn es sich dabei dann nicht mehr um einen originären Aristoteles oder Epikur handelt.

Bertrand Russel schreibt in seinem Essay „Die tieferen Beweggründe der Philosophie“, dass einer der notwendigen Charakterzüge für eine philosophische Veranlagung ist, dass man den Wunsch hegt, „an irgendeine allgemeine Theorie des Universums oder des menschlichen Lebens zu glauben.“ (1).
Bei derartigen allgemeinen Behauptungen regt sich selbstverständlich immer die Frage, inwieweit sie Gültigkeit besitzen können. Selbstverständlich kann Philosophie als eine Wissenschaft begriffen werden, die genau nach dieser allgemeinen Theorie sucht. Aber wäre es so unvorstellbar, dass ein Student genau aus dem entgegengesetzten Grund das Studium der Philosophie aufnimmt, nämlich um zu beweisen, dass es keine allgemeine Theorie geben kann? Oder könnte man in diesem Fall spitzfindig behaupten, die allgemeine Theorie wäre, dass es keine allgemeine Theorie gäbe?
Wie dem auch sei, man sollte wohl nicht vergessen, dass Russel hier nur ein Essay niederschrieb, das sicherlich einen ganz anderen Wahrheitsanspruch, als eine wissenschaftliche Abhandlung inne hat. Dennoch, der Versuch der Motivation der Menschen zur Philosophie nachzuspüren und diese auszuforschen ist überaus interessant.
Natürlich kann man geneigt sein anzunehmen, dass einige Wissen um des Wissens willen suchen, und sich darin bereits ihr persönlicher Zweck der Philosophie ausfüllt, doch andere werden anderes suchen und ihre Motivation nicht im Wissen als Selbstzweck auffinden können.

(1) Russel, Bertrand: Die tieferen Beweggründe der Philosophie. In: Russel, Bertrand: Unpopuläre Betrachtungen. Zürich: Europa Verlag, 2005. S. 52

Wer war Heraklit?

Der Philosoph Heraklit lebte zwischen dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. und wird folglich zu den Vorsokratikern gezählt. Von Heraklits Tod weiß Diogenes Laertius (DL IX 3f.) zu berichten, dass Heraklit, von Wassersucht befallen, sich in einen Kuhstall in den Rindermist eingrub, in der Hoffnung die Wärme würde ihm das Wasser entziehen, und starb. Aber Diogenes gibt ebenfalls einen Bericht des Hermippos wieder, nach dem Heraklit sich in die Sonne legte, sich von einem Knaben mit Rindermist bedecken lies und dort nach zwei Tagen starb.
Heraklit erhielt den Beinamen „der Dunkle“, da seine Lehre rätselhaft war, erst recht heute, da uns lediglich 130 sehr kurze Fragmente erhalten sind.
Heraklit wähnte sich im Besitz einer Erklärung, nach der alle Dinge sich vollziehen, und die, obwohl sie immer gilt, die meisten Menschen nicht verstehen. Denn die Erklärung lag für Heraklit verborgen, man kann nach Heraklit zwar ihre Auswirkungen an allen Dingen beobachten, aber die Erklärung ohne Kenntnis ihrer Struktur daraus nicht entschlüsseln. Noch weitreichender wird diese rätselhafte Erklärung, wenn man bedenkt, dass Heraklit sie tatsächlich als universal gültig ansah und d.h. auch für das menschliche Handeln. Daraus folgt, dass die unkundigen Menschen niemals die zugrunde liegende Struktur ihres eigenen Handelns verstehen können. Lassen wir die geheimnisvolle Erklärung des Heraklits beiseite und wenden uns etwas anderem zu.
Die bekanntesten Sätze Heraklits lauten: „Alles fließt“ und „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Ob diese nun aber wirklich von Heraklit stammen, oder nicht, ist in der Forschung umstritten, und so lässt uns Heraklit sogar an dieser Stelle im Dunkeln tappen.
An Heraklit scheiden sich die Geister. Seine Philosophie wurde ebenso verspottet, wie beispielsweise von Hegel verehrt.

nach: Rapp, Christof: Vorsokratiker. München: C.H. Beck Verlag, 1997. S. 61-79

Epikur – ein Vordenker

Im Jahr 306 v. Chr. ging Epikur, nachdem er in den Jahren zuvor sowohl eine Schule auf der Insel Lesbos, als auch eine weitere am Lampsakos am Ufer des Hellespont gegründet hatte, mit vielen seiner Schüler nach Athen.
In Athen soll er für 80 Minen ein Gartengrundstück gekauft haben, wo er seine Schule errichtete. Diese athener Schule zeichnete sich dabei durch einige Besonderheiten aus, so wurde dort beispielsweise kein Schulvermögen angelegt, sondern jegliches Privatvermögen blieb bestehen. Dies war Ausdruck des Umstandes, dass Epikur eine Forderung nach Kollektivierung von Vermögen als Zeichen des Misstrauens zwischen Menschen auffasste, und dieses Misstrauen war unter Epikureern (also Freunden) nach seiner Auffassung unnötig.
In weitaus höherem Maße bemerkenswert ist aber, dass in der epikureischen Schule Athens sich nicht nur freie Männer trafen, um Philosophie zu diskutieren und zu lernen. Frauen und Sklaven waren Epikur dort ebenso willkommen. Dadurch konnte Epikur zeigen, dass er seine Philosophie für eine Lehre vom Glück hielt, die für jeden Menschen, gleich ob Mann oder Frau, Freier oder Sklave, von Nutzen ist. Daran geknüpft ist natürlich die implizite Aussage, dass auch Frauen und Sklaven genauso wie freie Männer imstande sind, diese Philosophie zu verstehen und zu leben; es mag dahin gestellt sein, ob Epikur eine Art von Gleichberechtigungsgedanken hatte oder nicht (die Gleichberechtigung der Frau sollte noch über 2300 Jahre auf sich warten lassen, die Abschaffung der Sklaverei nicht ganz so lange), fakt ist jedenfalls, dass er Frauen und Sklaven dadurch, dass sie seine Schule besuchen durften, mehr Rechte einräumte, als sie sonst gewöhnlich hatten.

siehe auch: Das Vorurteil über Epikur

nach: Hossenfelder, Malte: Epikur. Zweite Auflage. München: C.H. Beck, 1998. S. 17f.

Ist die Frage nach dem Sein sinnvoll?

Was ist es, wenn wir von einem Sein sprechen? Was ist das Sein?
Martin Heidegger setzt sich mit dieser Fragestellung in seinem Werk „Sein und Zeit“ auseinander, doch zuvor muss er sich drei grundlegenden Einwänden stellen, die die Sinnhaftigkeit einer solchen Frage bestreiten.
Der erste Einwand geht davon aus, dass Sein der allgemeinste aller Begriffe ist. Heidegger entgegnet, dass die Allgemeinheit von Sein nicht die der Gattung ist. Der Autor dieses Textes gilt als Teil der Gattung Mensch und diese als der Gattung der Säugetiere zugehörig, schließlich werden die Säugetiere zur Gattung der Lebewesen gezählt. Alle in diesen Gattungen zusammengefassten Lebewesen sind, aber was haben wir dadurch über das Sein erfahren? Nicht viel, führt Heidegger an, denn das Sein übersteige alle gattungsmäßige Allgemeinheit. Wenn das Sein der allgemeinste Begriff sei, dann ist er weder der klarste noch aller weiteren Erörterung unbedürftig, so Heidegger.
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